Über die Bearbeitungswut

Zwischentöne Und was, wenn es die letzte Fassung des "Fidelio" nicht gäbe?

Korrekturwut oder notwendige Verbesserung? Zur Frage, warum Komponisten viel Zeit verschwenden, ihre Werke zu revidieren.

3. Februar 2020

Dreimal hat Beethoven seine "einzige" Oper komponiert. 1804, 1805 und 1814 legte er ,,Fidelio" in durchaus unterschiedlicher Gestalt vor. Ungewöhnlich genug, kann man im Jubiläumsjahr alle drei, szenisch aufbereitet, in Wien erleben, von der klassisch-unverfälschten Otto-Schenk-Produktion der Letztfassung bis - siehe die Rezension von Walter Weidringer. So spannend es ist, einem Genie über die Schulter schauen zu dürfen, so unruhig macht den Musikfreund die - ich weiß, für Historiker unzulässige! - Frage, was denn gewesen wäre, wenn.

Wenn es der Komponist also anno 1814 mit einer der Vorgängerversionen noch einmal versucht hätte. Es hätte den Zeitgenossen und uns Nachgeborenen vermutlich genügt. Aber besäßen wir dann eine zweite Beethoven-Oper, die er in der ver(sch)wendeten Zeit hätte komponieren können?

Das leidige Problem des Umarbeitens hat in der Musikgeschichte manch missliebige Blüten getrieben. Bruckner hat manche Symphonie bis zu dreimal umfassend revidiert. Traurig stimmt, wenn man die Urfassung der gewaltigen Achten hört, dass der für die Uraufführung ins Auge gefasste Hermann Levi - Premierendirigent des "Parsifal" - die Partitur als "unverständlich" zurückschickte.

Sie gälte uns Brucknerianern auch im Original als "Symphonie aller Symphonien". Und wir hätten - ich weiß, unzulässiger Schluss! - die Neunte mit Finale. Andererseits: Mag sich jemand die Vierte ohne das "Jagd-Scherzo" vorstellen? Mancher Kenner sagt: gern. Viele Musikvereins-Abonnenten aber wären zumindest irritiert.

Und eine Oper wie "Ariadne auf Naxos" wäre in der Urfassung nicht lebensfähig - Richard Strauss schenkte uns mit dem neuen "Vorspiel" ein musiktheatralisches Kabinettstück!

Paul Hindemith gab uns zwei Beispiele für Sinn und Unsinn des Bearbeitens: Sein Zyklus "Marienleben" nach Rilke ist in der Urgestalt kühn, aber abweisend und schwer singbar, in der Zweitversion aber - Gundula Janowitz hat es uns bewiesen - ein Kleinod der Liedkunst. Die Oper "Cardillac" aber beeindruckte zuletzt in zwei Produktionen an der Staatsoper. Die "gereinigte" Zweitfassung wirkt neben diesem Musterbeispiel expressionistischen Musiktheaters nur einschläfernd.