Beethovens Heldentaten in Napoleons Krieg

Zum Jubiläumsjahr geben Staatsoper und Theater an der Wien alle drei Versionen des >Fidelio<. Wie der Komponist aus der traurigen Kriegsrealität in einer Kammer in Schikaneders Theater zu weltumspannenden Freiheitsvisionen fand.

26. Jänner 2020


Fidelio da, Fidelio dort - nein, hier liegt keine Verwechslung mit dem Figaro vor. Auch Beethovens Operntitelheld(in) präsentiert sich in vielerlei Gestalt - demnächst auch auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Die Probenfotos zur Erstaufführung der Urfassung des Werks im Haus am Ring zeigen Leonore alias Fidelio jedenfalls in Person der Sängerin und eines Doubles. Aber das ist vielleicht der Tribut, den ein Opernhaus im 21. Jahrhundert an den Zeitgeist zu entrichten hat . . .

Mehrere "Fidelii" gibt es freilich auch in der Werkgeschichte. Zum einen hat Beethoven bekanntlich drei Fassungen seiner Oper zur Aufführung gebracht. Zum anderen bevölkerten in jenen Jahren unzählige heldenhafte Ehefrauen die Bühnen, um ihre Gatten aus der unverschuldeten Kerkerhaft zu befreien. Und Beethoven kannte einige der Vorgängerinnen seiner Theater-Lichtgestalt zumindest flüchtig.

Napoleonischer Pulvergestank. Das Sujet lag damals jedenfalls in der Luft, wie man so schön sagt. Und diese Luft war erfüllt von Pulvergestank. Abgesehen davon durchglüht ja das kämpferisch-siegreiche per aspera ad astra einen nicht unbeträchtlichen Teil des Beethoven'schen Schaffens: Seine Musik streitet für das Gute, Wahre, Schöne. Sie tut es im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus heiterem Himmel.

"Wie schwach der Hoffnung Schein", mochte mancher Einwohner Wiens anno 1805 mit Leonore geseufzt haben. Wien war gerade nicht kaiserliche Haupt- und Residenzstadt, als "Fidelio" zur Uraufführung kam. Die Franzosen hatten Wien eingenommen. Der Kaiser war nach Mähren geflüchtet. Nicht ohne eine Proklamation zu erlassen: "Mag Trunkenheit des Glücks oder unseliger und ungerechter Geist der Rache den Feind beherrschen, ruhig und fest stehe ich im Kreise von 25 Millionen Menschen, die meinem Herzen und meinem Hause teuer sind."

Franz II. "stand" freilich bald nicht in Wien, sondern in Kremsier. Und die Wiener Bevölkerung, so sie nicht auch die Möglichkeit gehabt hat, sich aus der Stadt abzusetzen, sollte sich in freiwilligen Jägerkorps und Bürgermilizen sammeln und musste mit ansehen, wie die Schätze aus Bildergalerien und Archiven samt der Staatskasse dem Kaiserhaus nach Norden folgten oder auf der Donau nach Ofen, dem heutigen Budapest, verschifft wurden.

Das Premierendatum des "Fidelio" markiert, durch kaiserlich-militärische Feldstecher betrachtet, die Mitte zwischen Hoffnung und Verderben. Fast auf den Tag genau einen Monat vor der Uraufführung hatte Admiral Nelson Napoleon bei Trafalgar besiegt. Zwei Wochen danach schlug Frankreich bei Austerlitz die Armeen Russlands und Österreichs vernichtend. Napoleon residierte in Schloss Schönbrunn und ratifizierte den in Pressburg geschlossenen Friedensvertrag.

Ein Blick in die Journale der Beethoven-Zeit lässt die Realität jener Wochen lebhaft nachfühlen. Beispielsweise staunte der Rezensent der "Eleganten Welt", als er bei seinem Besuch "statt der Wiener Polizeisoldaten jene blauen Röcke, und hohen rauen Mützen" erblickte, und merkt an: "In den Vorstädten schien das Volksgedränge stärker als gewöhnlich . . . alles wogte im bunten Gewimmel . . . Die Hoffnungen der Meisten waren auf den Erzherzog Karl gerichtet, welcher mit seiner Armee nahe sei, und die Feinde sicher schlagen würde."

Innerhalb der Stadtmauern waren hingegen mehrheitlich französische Offiziere anzutreffen. "Sie waren in die reichsten Häuser verlegt, und mit der Bewirtung zufrieden" und bildeten den Hauptanteil der Besucher der Premiere im Theater an der Wien.

"Das Theater war gar nicht gefüllt, und der Beifall sehr gering. In der Tat ist der dritte Akt sehr gedehnt, und die Musik, ohne Effekt und voll Wiederholungen . . . Dass doch so viele, sonst gute Komponisten gerade an der Oper scheitern, bemerkte ich ganz leise meinem Nebenmanne, dessen Mienen mein Urteil zu billigen schien. Er war ein Franzose, und suchte die Ursache darin, dass die dramatische Komposition die höchste Kunststufe sei, und auch sonst eine ästhetische Ausbildung fordere, die man, wie er höre, bei deutschen Musikern selten finde. Ich zuckte die Achseln und schwieg."

Der wahre Gefangenenchor. Beethovens Opernsolitär sollte aber im Frühjahr 1806 nach gründlicher (zweiaktiger) Revision zurückkehren. "Beethoven hat seine Oper mit vielen Veränderungen und Abkürzungen wieder auf die Bühne gebracht", heißt es in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung". "Ein ganzer Akt ist dabei eingegangen, aber das Stück hat gewonnen und nun auch besser gefallen."

Wie stark mochte die Wiener Bevölkerung die Handlung der Oper auf sich und die eigene Situation bezogen haben? Manche Assoziationen konnten gespenstisch anmuten, lesen wir doch von den unmittelbaren Folgen der Schlacht bei Austerlitz und von den Leiden der Soldaten der mit Österreich verbündeten Armee des Zaren: "Es waren mehrere Tausende gefangene Russen, die man aus Mähren nach Wien gebracht hatte. Ein entsetzlicher Anblick! Diese Elenden waren beinahe ganz in Lumpen gehüllt, mager, ausgezehrt, hatten einige Tage nichts gegessen, und baten nun mit aufgehobenen Händen um Nahrung. Die Gutherzigkeit der Wiener zeigte sich hier im schönsten Lichte. Auf jedem Gesichte las man die lebhafteste Teilnahme, aus den Fenstern flogen ganze Laibe Brotes, Semmeln, Obst, Braten . . ."

Keine neue "Zauberflöte". Wie auch immer: Diesmal war der Oper noch weniger Glück beschieden. Nach nur einer Reprise verschwand sie vom Spielplan, um erst 1814 (übrigens mit derselben Interpretin der Titelheldin) im Kärntnertortheater wieder aufzutauchen - und dann für immer zu bleiben. Der neuerliche Flop war allerdings offenkundig weniger künstlerischen Erwägungen als einem ordinären Streit ums Geld geschuldet: Beethoven überwarf sich mit dem Intendanten des Theaters an der Wien.

Dort hatte er freie Logis gehabt, seit der Erstbesitzer des Hauses, Emanuel Schikaneder, ihn als Opernkomponisten gewinnen wollte.

Aus den Plänen, Schikaneders Libretto zu "Vestas Feuer" zu vertonen, wurde nichts. Die eruptive Musik des skizzierten Schlussterzetts wurde im "Fidelio" zum "Freuden"-Duett Leonores und Florestans. Aber eine "neue Zauberflöte" wollte Schikaneders "neuer Mozart" nicht schreiben. Das Genre schien ihm veraltet.

An Friedrich Rochlitz, der ihm ein Libretto angeboten hatte, schrieb Beethoven: "wäre ihre Oper keine Zauber-Oper gewesen, mit beiden Händen hätte ich darnach gegriffen", aber die Zeit der Zauberoper sei "durch das Licht der gescheiten und sinnigen französischen Opern gänzlich aus".

Dass Schikaneder sein Theater an der Wien im Frühjahr 1804 verlassen musste, erleichterte es Beethoven, "Vestas Feuer" ad acta zu legen und einen ihm genehmen Stoff zu wählen. Er fand ihn unter den "gescheiten und sinnigen französischen Opern".

Für die theateraffinen unter Napoleons Offizieren konnte "Fidelio" daher trotz der deutschen Sprache zum Deja-vu-Erlebnis werden. Die erste Vertonung des Stoffes, auf ein Libretto Jean Nicolas Bouillys, stammte aus der Feder von Pierre Gaveaux und hieß "Leonore, ou L'amour conjugal". Sie war 1798 in Paris uraufgeführt worden und zog mannigfaltige Nachahmungen nach sich. Der Wiener Zeitungstratsch wusste schon im Mai 1805: "Nächstens soll eine neue Oper Beethovens auf die Bühne gebracht werden. Man ist sehr gespannt auf diese Arbeit, in welcher Beethoven zuerst als dramatischer Komponist auftreten wird. In dem Texte soll Beethoven mit Paer zusammengetroffen sein, der auch die nämliche ,Leonore' voriges Jahr zu Dresden in Musik setzte."

Das ließ einem der wichtigsten Mäzene Beethovens, dem Fürsten Lobkowitz, immer an Novitäten interessiert, keine Ruhe. Er ließ Paers wenige Monate alte "Leonora ossia L'amor conjugale" für eine Privataufführung einstudieren - mit Beethovens erster Marzelline, Louise Müller, in der Titelpartie! Vier Tage später startete an der Wien Beethovens Zweitversuch.