Colin Davis

Nachruf. Einer der führenden Dirigenten unserer Zeit, der zeitlebens wenig Aufhebens um sein eminentes Können gemacht hat, ist 85- jährig nach kurzer Krankheit gestorben. Er war Ehrendirigent in London und Dresden.

Sir Colin Davis, er war ein Grandseigneur, wie er im Buche steht. Umschwärmt, aber ein Leben lang von britischem Understatement und größter Dezenz – als gäbe es so etwas wie Privatleben für einen englischen Kapellmeister nicht. In die Schlagzeilen kam er, wenn überhaupt, durch musikalische Leistungen oder im schlimmsten Fall deshalb, weil gerade etwas künstlerisch vielleicht einmal gerade nicht so gut gegangen war.

Im Übrigen aber: Schlagzeilen? Er hätte die Anmutung verwundert mit seinem charmanten Lächeln quittiert und gleich danach wieder über musikalische Fragen zu diskutieren begonnen. Sir Colin war nicht aus der Ruhe zu bringen. Nicht einmal während des Dirigierens.

Ihn zu beobachten, wenn er große Orchesterausbrüche inszenierte, war eine Studie in natürlicher, offenbar angeborener Selbstbeherrschung. ,,Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen. Nur das Publikum soll warm werden." So hat es Richard Strauss einmal als eine der goldenen Regeln für den Kapellmeisterberuf formuliert. Daran hat sich Colin Davis sein langes Dirigentenleben gehalten wie kein Zweiter. Und doch waren seine Interpretationen alles andere als leidenschaftslos. Im Gegenteil, hie und da staunte ein Musikfreund, wie bunt, wie aufregend Musik sein konnte, die man gemeinhin als bestenfalls dekorative Angelegenheit betrachtet – etwa im Falle mancher weniger bekannter Stücke aus der Feder von Hector Berlioz.

Britischer Vorposten für Berlioz

Die Musik des französischen Provocateur romantique hat Davis über viele Jahre hin mit magistraler Kompetenz propagiert, in Opernhäusern, in Konzertsälen. In den Aufnahmestudios gelangen ihm Referenzeinspielungen, an denen bis heute kein Berlioz- Interpret vorbeikann.

Dabei wäre es dem Maestro wahrscheinlich auch seltsam erschienen, hätte man ihn als ,,stilbildend" apostrophiert – Grundsatzdiskussionen führte er nicht. Er setzte sich lieber ans Pult und gestaltete beispielsweise Mozart- Aufführungen von wunderbarer Ruhe und leuchtender Klangdifferenzierung. Originalklang-Debatten hin oder her, er baute auf der großen romantischen Spieltradition der bedeutenden Orchester, die er dirigieren durfte, auf. ,,Was denn sonst?", hätte er jetzt wahrscheinlich verschmitzt gefragt . . .

Mozart war für Davis' Karriere wichtig: Ende der Fünfzigerjahre übernahm er von Klemperer den ,,Don Giovanni", von Beecham eine ,,Zauberflöte" – und war ab sofort eine fixe Größe im britischen, bald auch im internationalen Musikleben. Als Chef von Covent Garden scheute er sich nicht, ,,Chefopern" an Kollegen wie Abbado, Maazel oder Muti abzugeben – und war doch unstrittig der Primus inter pares.

London Symphony blieb er ein halbes Jahrhundert lang verbunden, die Staatskapelle Dresden, mit der er schon in DDR-Zeiten Kontakte pflegte, machte ihn zum Ehrendirigenten.