"Die weiße Dame"

In Paris darf die Oper noch wirklich "comique" sein

Salle Favart. Im zauberhaften kleineren der beiden historischen Pariser Opernhäuser gibt man dieser Tage Boieldieus "Weiße Dame" und weiß, was man dem heiklen Genre "komische Oper" schuldig ist. Die Geschichten sind kurios genug, um keine Regieverdrehungen mehr zu brauchen.

28. Februar 2020

Für Freunde des fortschrittlichen Intendantentheaters ist das nichts. Wer aber eines der wichtigsten Werke des Genres Opera comique kennenlernen möchte, hat am gleichnamigen Pariser Haus Gelegenheit dazu: Man spielt dort Francois-Adrien Boieldieus "Weiße Dame" auf, wie ein französischer Rezensent das ausdrückte, wirklich altmodische Weise. Also so, wie's im Büchel steht.

Das ist kurios genug, braucht keine Verdrehungen. Das Stück ist eine der Veroperungen der Anfang des 19. Jahrhunderts beliebten Schauergeschichten Walter Scotts, dem wir ja auch Donizettis "Lucia di Lammermoor" verdanken. Auch die weiße Dame wandelt im schottischen Hochland. Allerdings ist sie nicht dem Wahnsinn verfallen, sondern nutzt ihre gespenstischen Auftritte zum Wohle der Wiedereinsetzung der alten Herrschaft im Schloss.

Der baritonale Bösewicht, der den Herrschaftssitz unter Ausschaltung legitimer Konkurrenz wohlfeil ersteigern will, lässt sich durch die Spukgestalt nicht vertreiben. Doch die nächtliche Erscheinung stachelt den Besitzer, der nichts von seinem Glück ahnt, dazu an, dem Usurpator mutig entgegenzutreten. Das gelingt, es ist ja eine gut gelaunte, wahrhaft komische Oper, von der niemand Geringerer als Weber gemeint hat, es sei die beste seit Mozarts "Figaro".

Ob Boieldieus "Dame blanche" auch in den Augen der Nachwelt ganz so hoch oben in der historischen Hierarchie siedelt, bleibe dahingestellt. Ein witziges, brillant komponiertes Stück heiterer Musikdramatik ist sie jedenfalls; sie bildete deshalb für manch spätere Opera comique das Vorbild, ist sozusagen eine der Großmütter der Operette.

Die Regie: Textgetreu und lebendig

Im Paris der wieder eingesetzten Bourbonen-Regentschaft sah und hörte man vermutlich mit Genugtuung, wie freudig im Dorf die Restauration der alten Grundherrschaft begrüßt wurde. Zumal die Sache mit französischem Esprit und jedenfalls nicht ganz ohne Ironie abgehandelt wird.

So viel Brechung genügte Pauline Bureau für ihre Neuinszenierung im historischen Salle Favart, um in den tatsächlich ebenso historisch anmutenden Dekors von Emmanuelle Roy eine vollkommen textgetreue, quicke Regie zu realisieren. Einige Videoprojektionen ermöglichen sogar den ganz und gar nicht feenhaften Hauptdarstellern in der einleitenden Dorfszene beinah übersinnlich wirkende Auftritte.

Die eigentliche Geistererscheinung der weißen Dame wiederum schwebt im Mittelakt ganz bewusst an den Rand der Parodie; es ist ja tatsächlich eine mädchenhaft-naive Inszenierung, die da stattfindet. Und sie tut ihre zauberhafte Wirkung, weil das nachmalige Liebespaar sich da in einem virtuosen, leichtfüßig agilen Duett findet: Der lichte Sopran Elsa Benoits und der für dieses Repertoire ideal, fast "weiß" timbrierte Tenor von Philippe Talbot liefern einander ein spielerisch-feines Koloraturen-Duell. Talbot jagt, mehrheitlich höchst erfolgreich, in den Regionen rund ums hohe C; und versteht sich auch auf den in diesem Stil unabdingbaren Einsatz des Falsetts, vor allem aber auf die sicher in die Höhe geführte Mischstimme.

Jerome Boutillier als Gaveston setzt dem edlen Pärchen ein bis zwei Oktaven tiefer die nötigen markigen Bösewicht-Akzente entgegen. Auch der Rest der Besetzung kann sich hören - und sehen lassen: Aude Extremo etwa als gütig-besorgte Marguerite, deren erste Erscheinung sie in hitchcocktauglichem Verwirrspiel schon wie eine Verkörperung der Titelheldin erscheinen lässt.

Man weiß es bald besser. Figuren wie der bäuerliche Hasenfuß von Yann Beuron und seine patente Jenny, Sophie Marin-Degor, sorgen für die buffonesken Momente, denen Boieldieus Musik ebenso liebevoll assistiert wie den gefühlvolleren Episoden: Mag sein, die Melodik ist nicht von der feinsten Bellini-Qualität, aber gefällig und schmiegsam; vor allem aber triumphiert der Ensemblegeist: Dank Julien Leroys zündendem Dirigat entfalten die an Rossinis Brio und Differenzierungskunst orientierten, aber durchaus französisch-elegant gepflegten vielstimmigen Nummern unwiderstehlichen Charme.

Jubel für das ganze Team - er schloß auch die unsichtbaren Techniker und Bühnenarbeiter ein, die vor der Premiere gegen die geplante Rentenreform im Land demonstrierten: Man möge sie, die kleinen Rädchen des Betriebs, nicht vergessen. Ohne sie ginge ja gerade in einem so trickreichen theatralischen Mobile wirklich gar nichts . . .