Festspiel-Geschichte

Kronprinzen sind oft nicht die Thronfolger, auch nicht in Salzburg


Mariä Himmelfahrt! Das war für Musikfreunde viele Jahre lang ein Feiertag, der zu einer Wallfahrt verlockte. Da dirigierte nämlich Herbert von Karajan die Wiener Philharmoniker in Salzburg.

Riccardo Muti galt als Karajans logischer Nachfolger in Salzburg. Doch er "erbte" vom Salzburger Alleinherrscher lediglich dessen traditionellen Konzerttermin mit den Philharmonikern. Muti war nicht der einzige Festspiel-Favorit, der nicht zum Zug kam. Das Spiel begann viel früher und war zu Zeiten politisch.

Zurück zu Mariä Himmelfahrt: Es waren in der Regel drei Konzerttermine, die der Maestro assoluto für das Festspielpublikum reservierte: Zwei Abende mit seinen Berliner Philharmonikern, die Jahr für Jahr Ende August quasi ihren vorgezogenen Saisonbeginn zelebrierten - mit Programmen, die sie danach auch in Berlin zum Besten gaben.

Und dann eben das eine, viel begehrte Konzert mit den Wiener Philharmonikern. Deren Auftritt am Marienfeiertag gehört heute noch zum Ritual. Und ebenso rituell lautet der Name des Dirigenten seit vielen Jahren Riccardo Muti.

Das ausverkaufteste Konzert. Das Konzert ist notorisch ausverkauft, es muss meist sogar dreimal rund um den 15. August gegeben werden. Dass es Mutis Erbpacht wurde, hat mit der Salzburger Festspielgeschichte zu tun und mit der Tatsache, dass viele Musikfreunde diesen Dirigenten für den legitimen Erben Karajans hielten.

Oder genau genommen für den Festspiel-Kronprinzen, der selbstverständlich ein Anrecht darauf gehabt hätte, die künstlerische Leitung der Festspiele zu übernehmen. Was wiederum nicht einmal nur etwas mit Karajan zu tun hatte. Es wurzelte tiefer in der Salzburger Tradition.

Es gab ja, was viele schon vergessen haben, nicht einen, sondern zwei Salzburger Regenten. Karajan, versteht sich, aber auch noch Karl Böhm, der seit den späten Fünfzigerjahren sozusagen naturgemäß das Salzburger Operngeschehen mitbestimmte.

Böhm galt als Sachwalter der Mozart-Spieltradition und war jedenfalls verbrieft einer der bevorzugten Uraufführungsdirigenten von Richard Strauss gewesen - immerhin einer der Festspielgründer . . .

Noch näher als Böhm, graben wir in unseren Betrachtungen ruhig noch ein wenig weiter zurück, stand Strauss übrigens Clemens Krauss. Ihn betrachtete er tatsächlich als seinen Kronprinzen, was das Festspielgeschehen betraf. Krauss war in seiner Zeit als Direktor der Wiener Staatsoper der rechte Mann, um fortzusetzen, was Strauss begonnen hatte: Opernaufführungen auf mustergültigem Niveau im Salzburger Sommer zu veranstalten, bei denen das Ensemble der Wiener Oper beweisen sollte, was es unter besten Bedingungen zu leisten imstande war.

Auf diesen Kurs versuchte Strauss seinen Adlatus Krauss einzuschwören. Das funktionierte ganz gut, solang die Politik nicht dreinpfuschte, wenn dieses harmlose Wort in Verbindung mit den Umstürzen der Dreißigerjahre überhaupt erlaubt ist. Doch es kam 1933, es kam die Berufung von Krauss ins nationalsozialistische Berlin - wodurch er in Österreich zur Persona non grata wurde. Und es ereignete sich im Gegenzug - und dieses Wort ist tatsächlich nicht falsch gewählt - ein einzigartiger Glücksfall für Salzburg.

Arturo Toscanini nämlich weigerte sich als glühender Antifaschist, nach Hitlers Machtübernahme noch bei den Bayreuther Festspielen aufzutreten. Er wählte Salzburg - und sorgte hier für vier kurze, aber weltweit beachtete Festspielsommer, für künstlerische Höchstleistungen, die erstmals wirklich aus aller Welt - Deutschland natürlich ausgenommen - Publikum anlockten. Die Festspiele wurden glamourös.

Die neue Internationalität wurde 1938 bekanntermaßen rüde unterbrochen. Toscanini musste sich um einen Erben nicht kümmern. Denn Clemens Krauss wurde wieder in seine Rechte gesetzt - und durfte als künstlerischer Leiter die nunmehr "deutschen" Festspiele planen.

Unter den gegebenen, wahrhaft widrigen Umständen gelang es ihm immerhin, seine Kronprinzenfunktion in Sachen Richard Strauss wahrzunehmen, indem er die letzte Strauss-Opernuraufführung einstudierte. Die Produktion brachte es trotz der Proklamation des "Totalen Kriegs" bis zur halb öffentlichen Generalprobe. Strauss konnte seine "Liebe der Danae" also tatsächlich noch in einer mustergültigen Aufführung auf der Bühne erleben.

Die eigentliche Uraufführung, 1952, fand dann zwar auch bei den Festspielen statt. Doch da war Strauss nicht mehr am Leben. Sein Kronprinz durfte, weil der Komponist sich das gewünscht hatte, diese Aufführung dirigieren. Im Übrigen aber waren sich die Festspielmacher einig, mit Clemens Krauss nichts mehr zu tun haben zu wollen.

Der starb zwei Jahre später, da waren sich seine Freunde sicher, an gebrochenem Herzen, weil man ihn auch in Wien nicht mehr hatte zum Zug kommen lassen.

Galionsfigur Furtwängler. In Salzburg aber dominierte bald ein Mann, der nach 1945 zu den "belasteten" Künstlern gezählt werden musste, aber weltweit doch als der eigentliche Gegen-Toscanini galt: Wilhelm Furtwängler. Er hatte 1944 übrigens das einzige wirklich offizielle Festspielkonzert des Sommers in Salzburg dirigiert, Bruckners Achte mit den Wiener Philharmonikern. Er war 1938 auch nach Salzburg gekommen, um die "Meistersinger von Nürnberg" zu übernehmen, die Toscanini hätte dirigieren wollen, wenn nicht . . .

Ab 1948 war Furtwängler die Salzburger Galionsfigur. Für die Kritiker, das Publikum, die Festspiel-Verantwortlichen, vor allem aber für die Philharmoniker, damals noch unangefochten das Festspielorchester, der einzige zugkräftige Erfolgsgarant.

Furtwängler war viel zu sehr auf sich selbst bezogen, als dass er je darüber nachgedacht hätte, ob es für ihn einen Nachfolger geben könnte. Als er starb, kürten sowohl die Berliner Philharmoniker als auch die Salzburger Festspiele jenen Mann zu seinem Erben, den er selbst als Einzigen ganz kategorisch immer ausgeschlossen hatte: Herbert von Karajan übernahm auf diese Weise, auch weil er bald zum Wiener Staatsopern-Direktor wurde, die Macht über die wichtigsten Schaltzentralen des europäischen Musiklebens.

In Salzburg, seiner Geburtsstadt, gab er diese Macht bis zu seinem Tod, 1989, nicht mehr ab. Dabei hatte es zuvor so ausgesehen, als ob die Festspiele einen radikal neuen Kurs fahren könnten, der keine Dirigenten-Galionsfigur mehr nötig gehabt hätte. Von Furtwängler gefördert, versuchte der Komponist Gottfried von Einem - engagierter Karajan-Gegner -, Salzburg zum Zentrum für Uraufführungen neuer Theaterstücke und Opern zu machen.

Er scheiterte an seinem Engagement für Bertolt Brecht, der als "Kommunist" für die österreichische Politik untragbar schien.

Uraufführungen als Dogma. Doch Uraufführungen von Carl Orff bis Rolf Liebermann bildeten eine Zeit lang das Rückgrat des Programms - und blieben bei Karajan wichtig. Jedenfalls konnte er in seiner angeblich vollkommen aufs klassische Repertoire konzentrierten Ära mehr bedeutende Weltpremieren herausbringen, als es danach je wieder möglich wurde. Doch wäre niemand auf die Idee gekommen, sein Nachfolger könnte einer sein, der sich nicht zuallererst um die Pflege des großen Repertoires kümmern würde.

Da schien Muti der Rechte: Seine Einstudierung von "Cosi fan tutte" nach Karl Böhms Tod wirkte wie ein Befreiungsschlag: In Originalklangzeiten war es noch möglich, Mozart "wienerisch-philharmonisch" aufzuführen und damit neue Maßstäbe zu setzen.

Das hätte der Mann sein müssen, der nach Karajan die Zügel in die Hand nimmt. So dachten viele. Doch die Politik wählte Gerard Mortier, der Muti nur für eine Opernproduktion halten konnte, und der auch Nikolaus Harnoncourt (den viele für den anderen möglichen Festspiel-Leuchtturm hielten) relativ schnell verlor. Die Mozart-Kompetenz der Festspiele sank in Mortiers Ära gegen null. Ein wenig aufgeblüht ist sie danach nur unter Peter Ruzicka - womit noch einmal ein Komponist als Festspielmanager reüssierte.

Muti freilich kehrte nur sporadisch als Operndirigent zurück - kommt aber pünktlich jeden "Ferragosto" zum philharmonischen Konzert. Immerhin.