Festspiele abgesagt

Bayreuths Götter warten

Festspiele abgesagt. Deutschlands Festival-Flaggschiff musste die Premiere von "Der Ring des Nibelungen" in der Regie des Österreichers Valentin Schwarz auf 2022 verschieben.

Während Schätzungen davon ausgehen, dass der Zusammenbruch des Kulturlebens in Deutschland die Volkswirtschaft an die 28 Milliarden Euro kosten könnte, sinnieren Musikfreunde über die Frage, warum das Flaggschiff der deutschen Festivalszene, die Wagnerfestspiele Bayreuth, für 2020 schon jetzt abgesagt wurden. Ist man sich auf dem Grünen Hügel im Fränkischen so sicher, dass bis zum Sommer keine Normalisierung der Situation eintreten könnte?

Die Frage ist insofern falsch gestellt, als heuer ein neuer "Ring des Nibelungen" anstünde. Vier Opernproduktionen mit einer Spieldauer von insgesamt knapp 15 Stunden innerhalb von sechs Tagen sind eine Herausforderung, die - sieht man von Kirill Petrenkos einstigem kühnen Unterfangen in Meiningen zur Jahrtausendwende ab - ausschließlich von Bayreuth überhaupt angenommen werden kann.

Die Vorbereitungen beginnen bereits im Jahr vor den Premieren, das meist ohne den "Ring" auskommen muss. Entsprechend heikel ist die Disposition. Deshalb lautet die Vorankündigung nun: Die "Ring"-Neuproduktion müsse vermutlich auf das übernächste Jahr verschoben werden. Die Besetzungs- und Proben-Logistik bei Wagner verhält sich zu der eines Festivals, das mit weniger wuchtigen Theaterbrocken zu hantieren hat, wie das Navigieren eines Hochseedampfers zu einem Segelboot.

Man erinnert sich an Krisen, die früher einmal die Bayreuther Planungen durcheinandergebracht haben. Aus dem Rhythmus kam die Dramaturgie einst, als Wieland Wagner kurz nach dem Festspielsommer 1966 starb. Sein Bruder Wolfgang übernahm damals die alleinige Führung und entsorgte die zweite, viel beachtete "Ring"-Inszenierung Wielands rasch, um sie durch seine eigene Neuinszenierung zu ersetzen.

Probebühne für jegliche Innovation

Sie war ebenfalls die zweite aus Wolfgangs Werkstatt seit der Neugründung des Festivals nach dem Zweiten Weltkrieg. Was die ersten Bayreuther Festspiele nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" für das deutsche Kulturleben bedeuteten, ist für die Nachgeborenen nur noch schwer zu begreifen. Immerhin war es Wieland und Wolfgang Wagner gelungen, das Unternehmen politisch unverdächtig erscheinen zu lassen, obwohl bei den Kriegs-Festspielen Anfang der vierziger Jahre im Festspielhaus nach Aufführungen der "Meistersinger von Nürnberg" wie selbstverständlich das Horst-Wessel-Lied angestimmt worden war . . .

Die zur Reinwaschung nötigen künstlerischen Innovationen besorgte Wieland Wagner mit seinen Inszenierungen, die jegliches altdeutsche Pathos hinwegfegten und eine vollkommen neue, karge, aufs Wesentliche konzentrierte Ästhetik propagierten. Bayreuth sollte zukunftsorientiert wirken - und löste auch eine Revolution auf den internationalen Opernbühnen aus.

Wolfgang Wagner stand seinem Bruder diesbezüglich nicht nach. Er galt zwar selbst als vergleichsweise konservativer Regisseur, ließ aber Patrice Chereau 1976 zur Hundertjahrfeier der "Ring"-Uraufführung die Erneuerungsarbeit besorgen. Erstmals stammte der federführende Interpret nicht aus dem Hause Wagner. Doch wieder war Bayreuth das Pionierlager.

Die Auswirkungen der Landnahme des sogenannten Regietheaters sind noch heute allüberall zu spüren. Ob gut oder schlecht, bleibe dahingestellt. Es führte kein Weg zurück. Der von Sir Georg Solti proklamierte Weg zurück zur Romantik entpuppte sich rasch als Sackgasse. Wolfgang Wagner griff ein und ersetzte den Versuch Peter Halls aus dem Wagnerjahr 1983 schon früher als geplant durch eine Neuinszenierung Harry Kupfers.

Seither wartet man weltweit auf ein neues innovatives Signal aus Bayreuth. Frank Castorfs Engagement endete zuletzt mit einer Enttäuschung. Die Provokationsmittel dieser Art von regielicher Selbstbespiegelung sind schal geworden. Ob man in dem Österreicher Valentin Schwarz den neuen Wieland Wagner, den neuen Patrice Chereau gefunden hätte? 2020 werden wir es jedenfalls nicht erfahren.