Dem Geiger, Gründer des Alban Berg Quartetts und großen Lehrer Günter Pichler zum Achtzigsten.
Es war für uns einst nicht schwer, einen Salzburger zu musikalischen Zwecken einzuwienern. Selbst bei dem Mann aus Bonn ist es uns ja gelungen. Jetzt aber wird es heikel, denn es geht um einen Tiroler. Das ist noch einmal ganz etwas anderes, dessen bin ich mir bewusst. Und doch, blenden wir zurück: Die Sozialisierung des Musikers Pichler fand in seiner Wiener Studienzeit statt, als er die hiesigen Orchester und Kammermusik-Ensembles studierte, ihren Ton, ihre Art zu denken, zu fühlen. Pichler fand die Unterschiede heraus zu dem, was Musiker von anderswoher mitbringen: Diese waren genauer, perfekter, spielten, sagen wir, ein wenig sauberer als die Einheimischen.
Aber! So sagen wir dann immer . . .
Dieses "Aber" wollte Günter Pichler nicht gelten lassen. Es musste doch möglich sein, die wienerische Klangwahrheit mit international salonfähiger Akkuratesse zu verbinden, oder - um das bis zum Überdruss strapazierte Diktum Gustav Mahlers noch einmal zu variieren - die Tradition zu bewahren, ohne dabei in Schlamperei zu verfallen.
Präzision und Charme
Dass dem jüngsten Violinprofessor der Wiener Akademie, der auch Konzertmeister der Symphoniker und der Philharmoniker war, die Gratwanderung glückte, war schon dem "Presse"-Kritiker klar, der Pichlers Ensemble nach dem ersten öffentlichen Konzert das "Wunder namens Alban Berg Quartett" nannte. Günter Pichler bewahrte in seinem unverwechselbaren Ton alles, was an der notorischen Wiener Schlamperei charmant klang - und ist dabei immer unglaublich präzise geblieben. Sogar wenn ein echter Avantgarde-Meister wie Roman Haubenstock-Ramati in seinem Zweiten Streichquartett verlangte, eine Passage inmitten eines ganz und gar nicht im Dreivierteltakt, ganz und gar nicht in Dur oder Moll stehenden Klanggespinnsts möge "wienerisch" klingen, dann verstand Pichler, was gemeint war. Und der Hörer begriff es auch, selbst wenn er nicht in die Noten schaute: Es klang "wienerisch".
Dank solch Raffinements empfanden Meister von Lutoslawski bis Berio die Interpretationen ihrer Musik durch das Alban Berg Quartett stets als unübertrefflich; und wir die Wiedergaben von Beethoven-oder Schubert-Quartetten. Deshalb gehört Günter Pichler zu seinem runden Geburtstag als Wiener umarmt; schon weil die Wiener Musikkultur ohne ihn viel ärmer gewesen wäre.