Interview Rudolf Buchbinder

"Wir leben in einer Zeit der Schubladen"

Im Gespräch. Rudolf Buchbinder über seine Projekte zum Beethoven-Jahr und die aufregende Beschäftigung mit neuen "Diabelli-Variationen", die er bei zeitgenössischen Komponisten in Auftrag gegeben hat. Am 3. März stellt er sie in Wien vor.

10. Februar 2020

Dass Rudolf Buchbinder im Beethoven-Jahr besonders häufig auf den Wiener Konzertpodien erscheinen würde, war klar. Aber der Pianist hat sich besondere Projekte ausgedacht, um seine Leidenschaft für diesen Komponisten aufs Neue zu dokumentieren. Eine der buchbinderschen Konzertserien beginnt kommenden Samstag und ist zwei Tage später auch schon wieder zu Ende. Im Verein mit Nikolaj Szeps-Znaider spielt Buchbinder sämtliche Violinsonaten des Meisters an drei aufeinanderfolgenden Abenden im großen Musikvereinssaal. Kompakter geht es nicht.

"Mit Znaider", erzählt der Pianist, "habe ich schon etliche Male einzelne Beethoven-Sonaten aufgeführt. Jetzt haben wir dieses Projekt fürs Jubiläumsjahr, das es nur zweimal geben wird: Einen Durchlauf haben wir für Kopenhagen geplant, nun folgt Wien." Nur zweieinhalb Wochen später setzt Buchbinder dann einen der markantesten Akzente, die das Beethovenjahr weltweit parat hat: Am Abend des 3. März spielt er im Musikverein - zum 100. Mal in seiner Karriere - die "Diabelli-Variationen".

Und nicht nur das: Der erste Teil des Konzerts gibt Anlass zu Reflexionen über die Entstehung dieser gewaltigen Variationenreihe. Der Komponist und Verleger Anton Diabelli hatte an etliche zeitgenössische Komponisten ein Walzer-Thema gesandt und bat jeden der Adressaten um eine Variation für eine Publikationsreihe namens "Vaterländischer Künstlerverein", die 1823 und 1824 in zwei Teilen erschien.

Die kuriose Geschichte von 33 Piecen

Beethoven war verärgert, weil er sich nicht mit vier Dutzend seiner Kollegen in einen Topf werfen lassen wollte. Er schwieg zunächst, erteilte aber dann Diabelli eine besondere Lektion, komponierte nicht eine, sondern 33 Variationen über das recht schlichte Thema - und schuf damit ein Kompendium der Variationstechnik, das in seiner Vielgestaltigkeit und inhaltlichen Tiefe wohl nie mehr übertroffen worden ist. Nun konfrontiert Rudolf Buchbinder diese "Variationen aller Variationen" mit einigen ausgewählten der von Diabelli bestellten Stücke, darunter ein Beitrag von Mozarts Sohn Franz Xaver, eine sehnsüchtig-schöne c-Moll-Variation von Franz Schubert und eine erstaunliche Talentprobe des elfjährigen Franz Liszt.

Diese Auswahl aus dem "Vaterländischen Künstlerverein" rundet die erste Konzerthälfte ab. Am Beginn des Abends aber erklingen elf Uraufführungen. Buchbinder hat zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten aufgefordert, den "Künstlerverein" ins 21. Jahrhundert herüberzuretten.

"Die einzige Vorgabe war", sagt der Pianist, "eine gewisse Länge oder sagen wir besser: Kürze nicht zu überschreiten. Die meisten haben sich daran gehalten. Im Übrigen war es mir wichtig, die enorme stilistische Bandbreite zu zeigen, die heute auf dem Sektor der sogenannten Neuen Musik herrscht."

Dergleichen ist auch dem Veranstalter Buchbinder wichtig, der als Intendant des Festivals von Grafenegg jedes Jahr einen Composer in Residence verpflichtet: "Auch da möchte ich die Vielfalt der Möglichkeiten aufzeigen" und möglichst keine Genregrenzen gelten lassen: "Wir leben in einer Zeit der Schubladen." Für Rudolf Buchbinder hingegen gibt es diese Schubladen nicht. Er spielt "gute Musik". Die kann auch Freunde von Rock oder Jazz faszinieren: "Mein Sohn liebt zum Beispiel die Variation von Brett Dean sehr."

Und das Publikum - nach dem Musikverein in 19 weiteren Metropolen - wird staunen, wenn es auch einmal "gewaltig rockt" (bei Christian Jost); oder wenn sich Toshio Hosokawa in Anlehnung an Schubert der ganz unverfälschten Tonart c-Moll bedient. Was die Reihung der Uraufführungen betrifft, hat sich Buchbinder nicht aufs Glatteis begeben: "Ich spiele die Stücke in alphabetischer Folge, am Beginn steht Lera Auerbach, am Ende Jörg Widmann. Aber es hat sich gezeigt, dass das keine Notlösung ist, sondern dass die langsamen Variationen gliedernd im richtigen Moment erscheinen."

Der Abschied von Mariss Jansons

Manchmal ist der Zufall der beste Regisseur. Er führte ja bereits vor langer Zeit den 15-jährigen Rudi Buchbinder aufs Podium, als er 25 der alten Stücke des "Vaterländischen Künstlervereins" zum Besten gab!

Gar nicht zufällig hingegen war die Auswahl der Dirigenten, die der Pianist für sein drittes großes Beethoven-Projekt 2020 eingeladen hat, mit ihm die Klavierkonzerte aufzuführen und für CD aufzunehmen. Dabei kam es zu einem letzten Zusammentreffen Buchbinders mit Mariss Jansons. Und dann nahm der Zufall schicksalhafte Form an: Jansons starb am 1. Dezember 2019 in Sankt Petersburg; am selben Abend spielte Buchbinder Schubert - in Sankt Petersburg! Er widmete das Konzert Jansons' Andenken: "Ich habe die Abschiedsworte auf dem Podium kaum über die Lippen gebracht."