Im Gespräch. Jochen Schmeckenbecher, der in der morgigen Wiener ,,Tristan"-Premiere den Kurwenal singt, über hochdramatisches Singen und kontrollierte Ekstase.
Eine Wagner-Premiere – für Jochen Schmeckenbecher ist das beinah schon eine Routineangelegenheit. Kräfteraubende Partien wie den Amfortas (im ,,Parsifal") und den Beckmesser (in den ,,Meistersingern") hat er oft gesungen. Den Kurwenal, den er morgen anläßlich der Premiere der Neuinszenierung von ,,Tristan und Isolde" durch David McVickar unter Franz Welser-Möst an der Staatsoper gibt, schon vor zwei Jahren in Lyon. Damals dirigierte Kirill Petrenko und La Fura dels Baus sorgten für die Inszenierung. Das bedeutete viel Probenarbeit. Aber da ist Schmeckenbecher nicht wie mancher Kollege, der das für Zeitvergeudung hält. ,,Ich hatte das Glück", sagt er, ,,bisher alle wichtigen Partien ausführlich vorbereiten zu können. Ich probiere gern", lautet sein Bekenntnis. Gründliche Vorarbeit gehört für ihn zum ,,Handwerk", soweit man bei einem Sänger von einem solchen sprechen darf. Das ,,Singwerk" gilt ja als besonders heikel – und Wagner- Rollen als aberwitzig anstrengend. Zumindest im Vergleich mit dem Opern-Normalmaß.
Der richtige Umgang mit dem Bayreuther
Schmeckenbecher sieht das nach etlichen einschlägigen Erfahrungen mit dem Bayreuther Giganten realistisch: ,,Ich finde, man muss alles mit der gleichen Stimme singen. Natürlich", ergänzt er bezüglich der physischen Voraussetzungen, ,,braucht ein Sänger für Wagner eine bestimmte Grundkonstitution, schon einfach, um übers Orchester zu kommen."
Wer zu diesem Zweck nicht brüllen muss, erfüllt in Wahrheit schon die Voraussetzungen. Dann heißt es nur noch: singen. Und ,,sich nicht emotional in dieser Musik verlieren. Ich denke da an den ersten Monolog des Amfortas, diese unglaubliche Leidenschaft, den Sog, den die Musik auslöst – das muss man leben, darf aber gleichzeitig nicht die Kontrolle über das, was man tut, verlieren."
So etwas könne man nicht trainieren. ,,Da gibt es nur Erfahrungsmomente", sagt Schmeckenbecher. Und: ,,Man ist ja nicht selbstlos beim Singen – man will es ja auch genießen, das Ekstatische miterleben. Das wäre ja furchtbar, wenn einer nur denkt, einatmen, stützen . . . Wir wollen ja auch unseren Spaß haben."
Aber den Moment, in dem man ,,gedanklich die Handbremse ziehen" muss, den gilt es im Auge zu behalten. Routine hat Jochen Schmeckenbecher ja sammeln können: ,,Ich habe eine altmodische Karriere gemacht, war drei Jahre fest am Theater Hagen, zwei Jahre an der Komischen Oper Berlin. Dort habe ich wahnsinnig viel gelernt, zuerst lyrische kleine Partien, dann etwas dramatischere. Das halte ich nach wie vor für den vernünftigsten Weg."
Staunen über die Wiener Kulturlust
Es war Giuseppe Sinopoli, der Schmeckenbecher anregte, den Musiklehrer in Strauss' ,,Ariadne" zu studieren – ,,und das gleich für die Mailänder Scala". In Schmeckenbechers Tonfall schwingt immer noch Dankbarkeit mit, daß Sinopoli ihm das zugetraut hat: ,,Ich habe immer Glück gehabt, bisher kamen immer die richtigen Partien zur richtigen Zeit. Und ich hatte immer Gelegenheit, vor wichtigen Debüts genügend zu probieren, ob für Beckmesser oder Wozzeck. Ich bin nie mit ein paar Einweisungsproben auf die Bühne geschickt worden."
Da hätte er Nein gesagt. ,,Das muss man manchmal können."
Jetzt also – mit allen Proben, die bei einer Premiere dazugehören, der Kurwenal. Wien findet der Künstler ,,super". Vor allem, ,,weil man spürt, wie wichtig den Leuten hier die Kultur ist. Wenn es hier einen neuen Operndirektor gibt, steht das auf Seite eins in der Zeitung. In Deutschland wäre das ein Fünfzeiler im dritten Buch. Am Wochenende ist mir die Kinnlade runtergefallen: Da waren in der Einführungsmatinee zu ,Tristan' so viele Leute, wie in anderen Städten nicht einmal zur Premiere kommen . . ."