Kammermusik

Freunde der Kammermusik haben mehr von der Musik

Dieser Tage erklingen in Wiens Konzertsälen die jeweils Dritten Streichquartette von Bartok und Britten. Ein kleines Vorgeplänkel dazu . . .

Hans Weigel hat einmal sinngemäß gesagt, nach der "Eroica" musste jede neue Symphonie "eine ganz bestimmte" Symphonie sein. Eine Nummer soundso war nicht mehr möglich.

Diese kluge Beobachtung eines Nichtmusikers erklärt jedenfalls, warum ein Mann wie Haydn, dessen Genialitätsquotient gewiss nicht geringer zu veranschlagen ist als der seines renitenten Schülers, 104 Symphonien publizieren konnte, Beethoven aber nur neun - bei weiterhin, wie wir wissen, eher abnehmender Tendenz.

Tatsächlich können wir nur noch von Bruckner behaupten, er hätte einem Formschema neun wirklich höchst originelle Ergebnisse abgerungen - was ihn nicht davor bewahrte, dass Strawinsky ihn als jenen Mann denunzierte, der neunmal dieselbe Symphonie komponiert hätte . . .

Wie auch immer: In der Gattung des Streichquartetts hat Beethoven selbst schon die Diversifizierung ins Extrem geführt. Seine späten Beiträge zur Gattung sind nicht nur harmonisch, sondern auch formal bis heute dankbare Objekte für rätselnde Musikologen - und ein Publikum das gern bei jeder Wiederbegegnung mit Opus 130 oder 131 etc. wieder aufs neue überrascht wird.

Das Originalitätsgebot empfanden spätere Komponisten, glaube ich, auf dem Sektor dieser Königsdisziplin der Kammermusik noch viel rigoroser als im symphonischen Bereich. Dem hatten ja Berlioz und Liszt mit ihren programmatischen Tondichtungen eine gewisse, sagen wir, Erleichterung verschafft.

Entsprechend fasziniert wandten sich die kreativsten Meister des 20. Jahrhunderts dem Streichquartett zu. Bezeichnend, dass Arnold Schönbergs erste beiden nummerierten Beiträge zur Sache, an der Schwelle zur Atonalität, wirklich originell sind, während die Nummern 3 und 4 unter dem Siegel der - formale Sicherheit vorgaukelnden - Zwölftontechnik im Vergleich wenig originell anmuten.

Ein Meister, in dessen Schaffen das Streichquartett wie bei Beethoven geradezu Tagebuch-Charakter angenommen hat, war Bela Bartok. Auf dem Höhepunkt seiner Experimentierlust schuf er sein einsätziges, im wahren Wortsinn unvergleichliches Drittes Quartett, das am kommenden Donnerstag vom Hagen-Quartett gespielt wird.

Wenig beachtet hat man den subjektiv-expressionistischen Zug in den Quartetten Benjamin Brittens, dessen letztes, das Dritte Quartett sich an seinen Opern-Schwanengesang "Tod in Venedig" anlehnt und dabei melancholisch die Formsprache von Bartoks Viertem Quartett paraphrasiert. Zu hören morgen, Dienstag, beim Juilliard Quartet im Musikverein. Zwei Chancen, zu erleben, warum Kammermusik-Kenner es besser haben.

LESERBRIEF (30. Jänner 2020) Dank für Sinkovicz' qualitative Analyse "Die Freunde der Kammermusik haben mehr von der Musik", "Zwischentöne" von W. Sinkovicz, 27. 1. Wilhelm Sinkovicz' Schlusssatz lautet: ". . . warum Kammermusik-Kenner es besser haben". Ja, sie haben es besser, weil der Autor dieses Artikels mit Kennerschaft auf qualitative Unterscheidungen in den Quartetten Arnold Schönbergs hinweist, darauf aufmerksam macht, warum die jeweils dritten Quartette von Bartok und Britten so bedeutend sind, und darüber hinaus noch bekannt gibt, wann und wo das Hagen- bzw. Juilliard-Quartett welches der erwähnten Werke zur Aufführung bringt. Für diese Hinweise als Service der "Presse" und die qualitative Analyse von Wilhelm Sinkovicz bedanke ich mich als Freund der Kammermusik. Dr. Alfred Wopmann, 1010 Wien