Kammermusik-CD

Ein Elfentanz und ein dämonisches Drama

Streichoktette. Mendelssohn Bartholdy hat den bis heute einzigen populären Beitrag zu dieser raren Gattung geschrieben. Ein neues Album stellt ein faszinierendes Fin-de-siecle-Stück von George Enescu dazu.

26. Februar 2020

Kammermusikfreunde assoziieren mit dem Wort Streichoktett sogleich Felix Mendelssohn Bartholdy. Tatsächlich ist sein Werk der bis heute einzig populäre Beitrag zur raren Gattung, nicht einfach ein Stück für zwei konkurrierende Streichquartette, sondern eine raffinierte Melange aus acht eigenwilligen Stimmen. Der Geniestreich des Teenagers gehört zu den positivsten, fröhlichsten Werken der musikalischen Literatur. Das sprudelnde, leichtfüßige Scherzo ist der Prototyp des unverwechselbaren Mendelssohn-Elfentanzes, wie wir ihn später, am populärsten ausgeprägt, auch in seiner "Sommernachtstraum"-Musik finden.

Den Oktett-Satz fand schon Mendelssohns Schwester Fanny bezaubernd: "Man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so leicht in die Lüfte gehoben". Die jüngste CD-Aufnahme durch ein multikulturelles Ensemble aus dem Quartett um den Geiger Ilya Gringolts und das finnische Ensemble Meta4 lässt diesbezüglich keine Wünsche offen. Das ganze Stück über behalten die acht Musiker die nötige Leichtigkeit und Schwerelosigkeit, auch angesichts aberwitziger spieltechnischer Ansprüche, nicht nur im Scherzo, auch im rasanten Finale.

Der animierten Aufnahme folgt als hörenswerte Ergänzung das Oktett aus der Feder des rumänischen Meisters George Enescu, das im internationalen Repertoire keine Rolle spielt, für den Kammermusik-Freund aber eine veritable Entdeckung darstellt. Der typisch leidenschaftlich-expressive Stil Enescus - man erlebte zuletzt bei den Salzburger Festspielen seine eindrucksvolle "Oedipus"-Vertonung - zieht sich durch die vier Sätze wie bei Mendelssohn der Elfenzauber.

Enescus Stück, um die vorvorige Jahrhundertwende entstanden, stellt einen bemerkenswerten Versuch mit der von Liszt in seiner Klaviersonate vorgebildeten Form einer großen, pausenlosen Bogenstruktur dar, die deutlich in vier Sätze gegliedert ist, wobei ein wildes Scherzo und ein über weite Strecken faszinierend um die eigene Klangachse kreisender langsamer Satz den Durchführungsteil des riesigen Sonatensatzes bilden, während das Finale eine sehr freie, fantastische Reprise des Motiv-Materials des Kopfsatzes ist.

Die wild hochfahrenden Klanggesten, die kraftvollen Steigerungen sprechen die dramatische Sprache der "Oedipus"-Musik. Das Finale ist eine besonders originelle Verquickung von Walzer-Rhythmus und strenger kontrapunktischer Arbeit: Die Themen, die dem Werk seinen Halt geben, werden hier in einem deliranten Tanz durcheinandergewirbelt. Das Stimmengeflecht scheint an den Höhepunkten tatsächlich aus acht gleichberechtigten Linien gebildet.

Wer dieses Stück das erste Mal hört, dem ergeht es vielleicht wie mit der Lektüre eines hochkomplexen, aber spannenden Romans. Man schlägt das Buch gleich noch einmal auf und beginnt von vorn. Wer mit Track eins wieder startet, bekommt noch einmal den luftigen Mendelssohn als willkommenes Satyrspiel zum dämonischen Fin-de-Siecle-Drama dazu geliefert . . .