Direktionswechsel. Im Herbst 2022 übernimmt die holländische Regisseurin Lotte de Beer die künstlerische Leitung von Robert Meyer - und bringt Liebe für die Operette mit ins Haus.
Die Nachfolgerin Robert Meyers heißt Lotte de Beer. Die 39-jährige Holländerin übernimmt ab September 2022 die künstlerische Leitung der Wiener Volksoper. Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Die Grünen) und der Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, Christian Kircher, präsentierten am Dienstagvormittag die Regisseurin, die aus dem Bewerbungsverfahren für die Meyer-Nachfolge siegreich hervorging.
31 Bewerbungen für den Posten hat es gegeben. Ein Kandidat hat sich gleich dreimal beworben. Mit 20 Kandidaten hat die Kommission Gespräche geführt. Zuletzt waren zwei Damen im Rennen. Die Staatssekretärin hat sich dann für die quirlige Regisseurin entschieden, die bei der Vorstellung eloquent für sich zu werben wusste.
In der Volksoper war sie schon einige Male. Von Musik verstehe sie wenig, bekannte de Beer. Jedenfalls wird sie sich auf die Suche nach einem Musikdirektor für die Volksoper machen. Nach einem, der so offen ist wie sie selbst für alle vier Sparten, die an der Volksoper gepflegt werden: Oper, Operette, Ballett und Musical sollen gleichermaßen wichtig bleiben. Diesbezüglich halte sie den von Robert Meyer verfolgten Kurs für absolut zukunftstauglich, versicherte de Beer.
Keine Genregrenzen akzeptieren
In ihrer Ära sollten die Genregrenzen dann aber möglichst verschwinden, wo das denkbar ist. In ihren eigenen Inszenierungen hätte sie sich offen für eine übergreifende Ästhetik gezeigt. In Wien waren von de Beer bereits einige Produktionen im Theater an der Wien zu sehen, allseits gelobt die Tschaikowsky-Inszenierung "Die Jungfrau von Orleans", die im März 2019 Premiere hatte. Zuvor gab es auch "La Boheme", "Die Perlenfischer" und "La Traviata" zu sehen. Die Bregenzer Festspiele zeigten Rossinis "Moses" in de Beers Inszenierung, von einem Rezensenten als "Geniestreich" gefeiert. An der Bayerischen Staatsoper gab es Puccinis "Triptychon" unter Kirill Petrenko.
Die jüngste Ausgabe des Magazins "Opernwelt" feiert Lotte de Beer als "Shootingstar" unter den Regisseuren unserer Zeit. Staatssekretärin Mayer erwartet von ihrer Kandidatin, dass sie "frischen Wind" in die Volksoper bringen wird, ohne aber die Tradition des Hauses außer Acht zu lassen.
Dem scheidenden Intendanten Robert Meyer streute die Politikerin Rosen: "Er hat die Volksoper 13 Jahre lang sehr erfolgreich geführt und das Haus in jeder Hinsicht geprägt." Im Gespräch habe Meyer versichert, für eine reibungslose Übergabe im Sommer 2022 sorgen zu wollen.
Für Lotte de Beer spreche, so die Staatssekretärin, auch die Tatsache, dass sie sich als eine der wenigen zeitgenössischen Theaterleute für die Operette begeistern könne. De Beer ergänzte: "Ich habe mir für das Abschlussprojekt meines Studiums eine Operette ausgesucht und musste das gegen meine Lehrer durchkämpfen. Aber ich glaube, ich habe sie schließlich überzeugen können." Für Wien sei bereits ein Operettenprojekt geplant gewesen, das sich dann aber wegen der Umstände leider nicht realisieren ließ.
Nun will de Beer Jahr für Jahr eine eigene Inszenierung an der Volksoper zeigen. Der Vertrag, so betonte Christian Kircher, sehe auch vor, dass die künftige Direktorin eine Produktion außerhalb Wiens erarbeiten dürfe, im Übrigen aber so viel wie möglich in Wien anwesend sein sollte, "um ihre Handschrift zeigen" zu können.
Wichtig sei, sagten die Staatssekretärin und die künftige Chefin des Hauses unisono, ein neues Publikum für die Volksoper zu gewinnen, ohne jedoch das Stammpublikum zu vergraulen. Überhaupt wachse dem Theater in Zeiten der Unsicherheit wieder eine ganz andere Rolle zu: "In komfortablen Zeiten muss die Kunst das Publikum aufrütteln, muss provozieren, dekonstruieren, schockieren", meint de Beer, "heute möchte man eher umarmt werden von Poesie." Im Theater möge man "lachen und weinen - auch über die Absurdität des heutigen Lebens. Man will berührt und unterhalten werden."
Dass die Kunst des Entertainments von Vertretern der "hohen Kunst" gern herablassend beurteilt wird, will de Beer nicht gelten lassen: "Oper - intellektuell, Musical - kommerziell: Mit dieser Haltung haben wir das junge Publikum verloren. Ich möchte Synergien zwischen allen Gattungen herstellen, ich möchte auch neue Musicals schreiben lassen." Gerade in diesem Genre könne die Volksoper etwas Besonderes bieten, das es nirgendwo sonst zu sehen gebe. "Brücken zu bauen, das war immer mein Stil."
Das Ziel: "Künstlerische Verzauberung"
Es gehe um eine "künstlerische Verzauberung. Die Volksoper hat alle Ingredienzien, um die Diversität der Menschen in Wien zu erreichen." Die musikalische Grundlage müsse freilich ein neuer Musikchef schaffen, den Lotte de Beer möglichst rasch im Verein mit den künstlerischen Gruppen finden möchte.
Staatssekretärin Andrea Mayers Fazit: "Ich bin sicher, nach sieben Jahren werden die Menschen in Wien Lotte de Beer ins Herz geschlossen haben."
LESERBRIEF
"Eloquenz" schlägt Kompetenz
"Frische Brise für die Volksoper", von Wilhelm Sinkovicz, 7. 10. Frau de Beer hat großes Glück gehabt, dass es für die neue künstlerische Direktion unbedingt eine Frau sein musste. Sonst hätte am Ende noch ein Mann das Rennen gemacht, der wenigstens einmal eine Operette inszeniert (oder gar eine Intendanz innegehabt) hat - nicht auszudenken! "Eloquenz" schlägt Kompetenz, zumindest seit die Politik verkündet hat, dass die neue Leitung unter den 22 männlichen Kandidaten nicht zu finden sein dürfe. Da ist frau dann schon eine "ausgewiesene Operettenspezialistin", auch wenn sie bisher nur Opern auf die Bühne gebracht hat. Hoffen wir, dass wenigstens das Glück Frau de Beer treu bleiben möge - denn Expertise dürfte bei ihr rar sein.
Jakob Freibichler, 2500 Baden