Die Salzburger Festspiele spielen Wagner und brechen damit ein stillschweigendes Übereinkommen mit Bayreuth. Die Konkurrenz muss man in Franken nicht fürchten . . .
Das Wagner-Jahr treibt eigen willige Blüten. Für die som merlichen Salzburger Fest spiele sind die Musikdramen des Meisters wegen der Konkurrenz zu Bayreuth tabu. Nur in Ausnahmefällen hat man mit dieser Regel gebrochen. Im Fall der ,,Meistersinger" waren diese Ausnahmen (1936-38, zunächst unter Toscanini, dann – nach dem sogenannten Anschluss, Wilhelm Furtwängler) politisch motiviert. Stefan Herheim, dessen Bayreuther ,,Parsifal"-Inszenierung wegen der kühnen Verknüpfung von penibler Werkerzählung mit Bayreuther Deutungsgeschichte genialische Züge trug, hätte für sein Salzburger Projekt reichlich Konnotationen gefunden. Er setzt jedoch diesmal auf die Parallelen zwischen frühbürgerlicher Nürnberger Ständeherrlichkeit und der Entstehungszeit des Werks.
Bismarcks Geist spukt freilich nur in Kostümen und den kolossalen, wandelbaren Bühnenbildern: Richard Wagner (mit der Zipfelhaube des Deutschen Michel) erträumt sein Werk in der Komponierstube; märchenhaft verwandeln sich der Sekretär in die Katharinenkirche, Bücherregal und Kommode in eine Nürnberger Gasse. Nichts fürs Gemüt. Inmitten dieser handwerklich bewundernswert ausgefeilten Kulisse stellt der Regisseur freilich die normalste ,,Meistersinger"- Inszenierung, die sich denken lässt, differenziert im Beziehungsspiel zwischen den Figuren, doch unter Aussparung beseelter Gemütsspiegelung rückt diese Menschheitskomödie eher in Richtung derber Posse. Wo feinsinnige Regungen sichtbar werden könnten, wird kräftig gegrapscht und getapst. Wo die Komödiantik fröhliche Urständ feiern könnte, ufert der Bühnenspaß in – freilich exzellent choreographierten – Slapstick aus.
Dort, wo Wagner einen veritablen Fastnachtsspuk entfesselt, greift Herheim in die Trickkiste von Grimms Märchen: Zur Prügelfuge tanzen Froschkönig und Rotkäppchen herein, Schneewittchen nebst allen sieben Zwergen nicht zu vergessen.
Das alles kann der Zuschauer als freundlichen Akt der Zuwendung begreifen: Endlich keine Überfrachtung durch unliebsamen Assoziationsterror. Kaum hörbarer Widerspruch regt sich beim Schlussvorhang. Orchestrale Mückenstiche. Noch weniger als harmlos gibt sich die musikalische Seite des Unterfangens. Bedenkt man, daß im Festspielbezirk nach Toscanini und Furtwängler nur noch Karajan – zur Osterzeit und unvergesslich tiefgründig – die ,,Meistersinger" dirigiert hat, ist die Bilanz von 2013 nicht harmlos, sondern zum Verzweifeln.
Die Wiener Philharmoniker sitzen im Orchestergraben, folgen wacker den Anweisungen von Daniele Gatti – und der dirigiert an der Bühne, an den Sängern vorbei, wie man es kaum je erlebt hat. Passagenweise gibt es Interferenzen bei jeder Phrase, V erschiebungen zwischen Gesang und Instrumentallinie, unscheinbar meist, in der Fülle aber enervierend wie Mückenstiche. Die erfahrenen Wiener Musiker zu solch unidiomatischem Wagner- Spiel zu animieren, ist immerhin eine Leistung. ,,Interpretation" könnten einige Stellen genannt werden, bei denen offenkundig an knallharter Artikulation gearbeitet wurde. Beklagenswerte klangliche Derbheit dominiert bereits die ersten Takte des Vorspiels, in das Pauken und Trompeten dreindreschen, als wollten die Philharmoniker beweisen, daß man für solche Klangschlächterei keiner Originalinstrumente bedarf.
Und die Besetzung? Gelänge es dem Landestheater, übers Jahr einmal solche ,,Meistersinger" aufzubieten, ließe sich den Salzburgern Beifall für eine solide Leistung zollen. Daß Festspiele sein könnten, kam dem Besucher am Premierenabend jedenfalls nicht in den Sinn.
Kaum ein Sänger, der höheren Ansprüchen als einem simplen Durchhalteappell – dabei sein (und überstehen) ist alles – genügte. So willig sich alle in Herheims Puppenspiel fügen, stimmlich mangelt es etwa der Eva von Anna Gabler in der Schusterstube völlig an Führungspotenzial.
Im entscheidenden Dialog drohen selbst die bis dahin exzellenten Widersacher, Michael Volles Sachs und Markus Werbas Beckmesser, im undifferenzierten, viel zu lauten Orchestergewoge unterzugehen.
Abgeblendete Leuchtkraft. Volle musste sich nach dem vom Dirigenten rettungslos verschleppten Wahnmonolog auf der Festwiese spürbar auf Sparflamme durch die Fährnisse von Spruch und Schlussmonolog manövrieren. Daß er ein guter Schusterpoet sein kann, der klug zu gestalten weiß, bleibt aus dem Mittelakt von deutlich deklamiertem Fliedermonolog und sensibel modelliertem Dialog mit Eva immerhin in Erinnerung.
Im Übrigen ein kräftiger, doch in den Stimmen seltsam aus der dynamischen Balance gebrachter Staatsopernchor, ein sonorer Pogner (Georg Zeppenfeld), eine von Oliver Zwargs Kothner unauffällig geführte Meisterriege, eine brave Magdalene der Monika Bohinec. Und zwei Tenöre von genügend Durchaltevermögen, aber ohne jegliche Ausstrahlung: der Stolzing Roberto Saccàs und Peter Sonn als David. Wer die Strophen des Preislieds leuchtkräftig gesungen und herzhaft musiziert hören möchte, muss auf die nächste ,,Meistersinger"-Produktion warten.
FAKTEN
Hans Sachs, berühmtester aller ,,Meistersinger", lebte von 1494 bis 1576 in Nürnberg, schuf unter anderem das Gedicht, das Wagner im dritten Akt seiner Oper als ,,Wach auf"-Chor vertont.
Gustav Lortzing komponiert 1840 eine ,,Hans Sachs"-Oper, basierend auf dem Theaterstück von Deinhardstein.
Richard Wagner skizziert 1845 in Marienbad ein Satyrspiel zum ,,Tannhäuser" und besinnt sich des Entwurfs wieder, als es 1861 gilt, ein ,,leicht realisierbares" Tourneestück zu schreiben . . .
Das Vorspiel zur Oper komponiert Wagner 1862 in einem Zug – es wird sofort zum Erfolgsstück. Die Opernpartitur vollendet der Komponist erst Jahre später. 1868 kommen die ,,Meistersinger" in München zur Uraufführung.
In Salzburg brachten die Festspiele die ,,Meistersinger" 1936 und 1937 unter Arturo Toscanini heraus. Nach dem Anschluss übernahm 1938 Wilhelm Furtwängler die Leitung dieser Produktion.