Musik und Bildende Kunst

Nicht jedes Bildnis klingt "bezaubernd schön"

Von der "Hunnenschlacht" bis zum "Floß der Medusa": Auch
in der Musik gibt es nachgestellte Bilder.

Musikalisch "nachgestellte" Bilder? Die gab es en detail schon in der Renaissance - wenn Madrigalisten versuchten, Alltagsgeräusche wie das Geschrei auf einem Marktplatz singend nachzuahmen. In der Oper ging man bald daran, die Stimmung eines Schauplatzes, das "Lokalkolorit" mit raffinierten Klangmalereien heraufzubeschwören - je finsterer, desto aufregender für das Publikum. Denken wir an die düstere Kerkerstimmung am Beginn des zweiten Akts von Beethovens "Fidelio", an Webers "Wolfsschlucht" im "Freischütz", ganz zu schweigen von Wagners wilden Stürmen, seinem bukolischen "Waldweben" und den "Karfreitags"-Zaubereien.

Da war der Weg längst geebnet für eine eigene Bilderwelt musikalischer Natur. Man konnte ganze Gemälde in Klängen nachzeichnen. Das von Hector Berlioz und Franz Liszt geschaffene Vehikel der "symphonischen Dichtung" schien wie geschaffen dafür.

Liszt war der erste Komponist, der ein musikalisches Werk nach einem Gemälde schuf und auch nach der Vorlage benannte. Wilhelm von Kaulbachs für das Treppenhaus des Neuen Museums in Berlin geschaffene "Hunnenschlacht", 1837 vollendet, erhielt 1857 ihren symphonischen "Soundtrack".

Tatsächlich kann man ja ein solches Monumentalgemälde wie einen Film anschauen. In mehreren Ebenen wird da eine Geschichte erzählt. Wie die Aufmerksamkeit des Betrachters von Detail zu Detail wandern muss, um die Bildersprache zu dechiffrieren, entwickelt die Musik ihre Klangbilder auf der Zeitachse und verwandelt auf ihre Weise optische in akustische Signale.

Kriegslärm und Dankgebet. Der tief- gläubige Katholik Liszt beschreibt seine Intentionen als dramatische Schilderung der Zerstörung der "Finsternis des Heidentums" durch das "Licht des Christentums". "Wir hören", so der Komponist, "die Hörner-Schlachtrufe der Hunnen, denen die Trompetensignale der Römer antworten." Orgelklänge verkünden mit dem Choral "Crux fidelis" den Sieg des Christentums.

Liszts Satz "Der Schlachtgesang wird zum Dankgebet" benennt einleuchtend seine virtuose, für die kommenden Komponistengenerationen vorbildliche Kompositionstechnik: Die musikalischen Motive verwandeln sich.

Das klassische Durchführungsprinzip wird zur inhaltlichen Metamorphose, und diese macht Musik für den Hörer "anschaulich". Was mit Liszt für die Symphonik nutzbar geworden war, verwandelte Richard Wagner in die psychologische Differenzierungskunst seiner Leitmotivik.

Vom ehrgeizigen Projekt einer "Weltgeschichte in Bildern und Tönen von Wilhelm Kaulbach und Franz Liszt" blieb nur die "Hunnenschlacht" übrig. Aber Modest Mussorgsky konnte erstmals einen Zyklus von "Bildern einer Ausstellung" realisieren - wenn auch weniger staatstragend als subjektivistisch.

Mehrere Toteninseln. Max Reger schuf einen malerischen Orchesterzyklus nach Gemälden von Arnold Böcklin. Da geigt der "Eremit" spätromantisch üppig, Nixen und Tritonen spielen in den Wellen und ein Bacchanal tobt. Als "Adagio" der pittoresken viersätzigen Symphonie fungiert eine melancholisch tönende Nachbildung der "Toteninsel".

Dieses Sujet hat nicht nur Böcklin derartig fasziniert, dass er es in mehreren Varianten gemalt hat. Auch einige Komponisten waren davon höchst beeindruckt: Sergej Rachmaninow hat eine Tondichtung "über" dieses Bild geschrieben, die zu den ausdrucksvollsten Orchesterwerken der Spätromantik gehört. Auf der Opernbühne hatte die Bildende Kunst seit jeher mitzubestimmen. Gerade in unseren Tagen interessieren sich viele Künstler dafür, auch Bühnenbilder zu malen.

Aber es wurden sogar Bilder zu Opernszenen. Wystan Hugh Auden ließ sich von William Hogarths liederlichen Bildern über "The Rake's Progress" zu einem der originellsten Opernlibretti inspirieren: Igor Strawinsky schuf Mitte des 20. Jahrhunderts die Musik dazu. Er machte die stilistische Mixtur perfekt. Seine Rezitative und Arien basieren auf musikalisch-formalen Vorbildern aus dem Barock und der Klassik.

Für den Konzertsaal schrieb Hans Werner Henze knapp 20 Jahre später als Begleitmusik zum kollektiven Aufschrei der Studentenrevolte sein Oratorium "Das Floß der Medusa". Inspiriert von Theodore Gericaults Gemälde erzählt es die Geschichte schiffbrüchiger Matrosen des königlich-französischen Kriegsschiffes, die von den Offizieren hilflos auf einem Floß treibend zurückgelassen wurden.

Das tönende Manifest, in das der Rhythmus der Ho-Chi-Minh-Rufe hereinklingt, hat seinen Weg auch auf die Bühne gefunden - und kommt meist ohne Anlehnung an das Bild aus dem Louvre aus. Oft sind musikalische Zeichen bildhaft genug.