Die Neuinszenierung des „Rings des Nibelungen“
DAS TEAM
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denic, Adriana Braga Peretzki (Kostüme)
Licht: Rainer Caspar, Video: Andreas Deinert, Jens Crull
Dirigent: Kirill Petrenko
Die Götter: Wolfgang Koch (Wotan), Oleksandr Pushniak (Donner), Lothar Odinius (Froh), Norbert Ernst (Loge) Göttinnen: Claudia Mahnke (Fricka), Elisabet Strid (Freia), Nadine Weissmann (Erda) Nibelungen: Martin Winkler (Alberich), Burkhard Ulrich (Mime)Riesen: Günther Groissböck, Sorin Coliban Rheintöchter: Mirella Hagen, Julia Rutigliano, Okka von der Damerau
Mit Empörung über die Regie und Jubel für die musikalische Gestaltung reagierte das Festspielpublikum auf den ,,Vorabend".
Daß es hoch hergehen würde, wenn Frank Castorf, der notorische ,,Stückzertrümmerer" zu Richard Wagners 200. Geburtstag den ,,Ring des Nibelungen" an dessen Uraufführungsstätte neu inszenieren würde, war vorprogrammiert. ,,Sein Ring" soll sich um das ,,Gold unserer Tage" drehen, das Erdöl, verkündete der Regisseur vorab. So spielt ,,Das Rheingold" nicht im Fluss und auf Bergeshöhen, sondern in einem Motel samt Tankstelle. Castorf erzählt gewohnheitsmäßig keine Stücke, sondern stellt nur mehr oder weniger amüsante Einzelbilder. In der zweiten Szene gelang das insofern im Einklang mit der Handlung von Wagners Drama, als die handelnden Personen, bzw. ihre Aktionen und Interaktionen etwa denen entsprachen, die im ,,Rheingold"-Text vorgezeichnet sind, nur daß aus mythischen Gestalten die Figuren einer TV-Soap-Opera wurden. Diese ist glänzend inszeniert und reizt zum Schmunzeln. Von der Wirkungsmacht der Flüche Alberichs, des Rings, der Gewalt der Liebes-Entsagung ist nicht das mindeste zu verspüren. Das sorgte am Ende der Premiere für heftige Missfallenstöne.
Klangwunder im Orchester
Doch wurde den Sängern insgesamt applaudiert. Und der Dirigent, Bayreuth-Debütant Kirill Petrenko, erntete Ovationen. Das hat seinen Grund. Denn er erzählt mit dem Orchester keine Vorabend- Komödie, sondern macht großes Welttheater in Klängen. Dabei schattiert er die Dynamik so subtil, wie die vielfältig differenzierende Partitur es suggeriert. Instrumental ergibt das eine Summe von hochartifiziell abgestimmten Farbvaleurs, vom zarten Pastell, einem konkurrenzlos weich modellierten ,,Walhall"-Motiv bis zu mit der Spachtel aufgetragenen Akzenten – etwa wenn die Riesen daherstapfen oder Alberich seine Flüche ausstößt.
Das lässt auf Klangwunder an den kommenden drei Abenden hoffen. Im ,,Rheingold" vermochten nicht alle Sänger so feinsinnig zu agieren wie das Orchester. Freilich: Wolfgang Koch ist ein ungemein prägnant artikulierender, mit lyrischer Stimme begabter neuer Wotan, Wolfgang Winkler dessen veritables, teuflisches Gegenbild als Alberich. Norbert Ernst ein auch vokal sensationell wendiger Loge. So lässt sich schon Musiktheater machen.
DIE REZENSIONENSonntag, 28. Juli
»Rheingold« auf der TankstelleZum 200. Geburtstag Richard Wagners präsentieren die Festspiele in Bayreuth eine Neuinszenierung des »Rings des Nibelungen«: Frank Castorf führt Regie, Kirill Petrenko dirigiert.
Eine heftige Aufwallung der Empörung, dann großer Jubel für die musikalische Gestaltung – die Reaktion des Publikums auf die Bayreuther ,,Rheingold"-Premiere 2013 klang im Wesentlichen wie die Reaktionen auf die Bayreuther ,,Rheingold"-Premieren in den Jahren davor. Daß Regisseur Frank Castorf seine Gegner finden würde, war vorherzusehen. Dennoch lässt sich nicht davon reden, daß sich die Bilder gleichen. Gegen die Inszenierungsnullnummern Tankred Dorsts und Jürgen Fimms bahnt sich hier, so scheint es, zumindest eine handwerklich exzellent gemachte Theaterarbeit an. Das ist ja heutzutage schon viel.
Soap statt Ideendrama. Ob sich aus dieser Theaterarbeit dann viel über Gehalt und Philosophie von Richard Wagners Ideendrama herauslesen lassen wird, bleibt abzuwarten. Das ,,Rheingold" war zunächst einmal amüsantes Unterhaltungstheater mit kleinen Krimi- Akzenten, gut geeignet fürs Vorabendprogramm – und auch dort angesiedelt, wo der TV-Vorabendschrott mehrheitlich herkommt: irgendwo auf der amerikanischen Route 66, kein Fluss, keine Bergeshöhen, dafür eine Tankstelle und ein Motel, in dessen Terrassenzimmer sich Wotan einquartiert hat, um mit Fricka und Freia in einem Bett die Nacht zu verbringen.
Im Erdgeschoss warten derweil drei Damen auf Kundschaft und ärgern den armen Alberich, der im Liegestuhl eingeschlafen ist. Diese Töchter des mittleren Westens behüten kein Rheingold, sondern einen Würstelgrill nebst Planschbecken.
Gold? Fluch? Ring? Macht? Auch abstraktere Inszenierungen tun sich ja schwer, das Unfassbare fassbar zu machen. Frank Castorf hält sich damit erst gar nicht auf. Woher kommt die ungeheure Macht, die der Ring angeblich verheißt, der sich durch Liebesfluch gewinnen lässt?
Woher soll ich das wissen? So lautet offenbar Castorfs Gegenfrage. Seine Bayreuther Produktion hält sich lieber an die kleinen zwischenmenschlichen Freuden und Schweinereien, die Wagners Text ja in Fülle zu bieten hat. Wo es ganz familiär wird, in der zweiten Szene, wird aus dem lustvoll geknüpften Intrigenspiel eine veritable Posse von sonst nur bei Feydeau erreichter Geschwindigkeit.
Hinzu kommt, daß zwei Kameras ständig die Sänger verfolgen, in Großaufnahme zeigen und auch dokumentieren, was hinter der Szene passiert. Man kommt aus dem Schauen nicht heraus.
Falls sich jemand gefragt hat, ob dieser Regisseur, wenn man ihn denn schon zwingt, einmal die Szenen eines Theaterstücks in jener Reihenfolge auf die Bühne zu bringen, in der sie vom Autor notiert wurden, einen roten oder sonstwiefarbenen Erzählfaden suchen wird: Spätestens in der dritten ,,Rheingold"-Szene wird klar, daß sich Castorf um Petitessen wie einen ,,Handlungsstrang" auch in Bayreuth nicht schert.
Im ,,postdramatischen" Theater kommt es auf so etwas nicht an. Daß Alberich und Mime schon am Beginn der Szene Wotans Gefangene sind, ist so unerklärlich wie die Fragen, wie die Goldbarren ins Hinterstübchen der Tankstelle kommen und wohin Alberich sie im Panzerwagen zu verbringen gedenkt. Vollends müssen wir uns den Reim auf die ewigen Fragen, die der ,,Ring" auch aufwirft, selbst machen.
Aber das müssen wir ja immer. Kommentatoren verweisen gern auf die ,,Brüche", die Wagners Monsterwerk dank seiner jahrzehntelangen Entstehungsgeschichte aufzuweisen hat. In Bayreuth sind es jetzt halt noch ein paar Brüche mehr, zumindest im ,,Rheingold".
Klänge aus der Tiefe. Doch sorgt Kirill Petrenko anläßlich seines Debüts auf dem grünen Hügel für eine musikalisch meisterliche Umsetzung der Partitur. Die Musik dringt freilich in die Tiefen des Bewusstseins und rührt, noch weiter hinab, an jenes Unsagbare, das die Bayreuther Optik uns diesmal konsequent vorenthält. Aus dem Orchestergraben dringen kunstvoll gewebte Klänge, luzid, ungemein weich phrasiert – wann hat man ein solch machtvoll-schönes, doch rundes Walhall-Motiv gehört? -, dann wieder von schneidender Prägnanz.
Freilich droht die Bilderflut in ihrer cineastischen Ästhetik zwischen ,,Django" und ,,Straßen von San Francisco" die akustischen Wunder des öfteren zu überfluten.
Das spielerische Engagement des gesamten Ensembles täuscht auch darüber hinweg, daß nicht alle Stimmen von festspielreifem Zuschnitt sind: die Rheintöchter allesamt nicht, die Floßhilde Okka von der Damerau vielleicht ausgenommen. Dem schmächtigen Donner Oleksandr Pushniaks traut man nicht zu, daß sein Ruf Naturgewalten entfesseln könnte. Der zwar schönstimmigen, doch schwächlichen Erda Nadine Weissmanns stehlen Freia (Elisabet Strid), vor allem aber die kraftvoll-herrische Fricke Claudia Mahnkes mühelos die Show.
Exzellent hingegen Norbert Ernsts wendiger, scharf geschliffener Loge und der Mime Burkhard Ulrichs. Gut die als halbstarke Schlägertypen kostümierten Riesen (Günther Groissböck und Sorin Coliban) und der Froh von Lothar Odinius.
Und darstellerisch wie vokal intensiv das Widersacherpaar Wolfgang Koch und Martin Winkler in den Hauptpartien Wotan und Alberich. Einen schöner timbrierten Göttervater hat man lang nicht gehört. Und die vorbildliche Diktion beider Künstler verhilft auch Wagners Text, dessen Stilistik so quer zur Bühnenrealität steht, zu seinem Recht. Gesungen und musiziert wird großes Welttheater. Illustriert wird dieses mittels kleinbürgerlicher Vorstadtkomödie. Und es gilt bei Castorf keineswegs als ausgemacht, daß es dabei bleibt.
29. Juli
Bayreuth: So sah ich Siegvater nie . . .Der neue ,,Ring". Aus Frank Castorfs bewegten Bildern ist bei der ,,Walküre" die Luft draußen. Es bleibt altvertraut-gemütliches Stehtheater. Doch gelingt Dirigent Kirill Petrenko eine atemberaubende Interpretation.
Die Bilderflut kam zum Erliegen. Mit Beginn des ,,Ersten Tags" von Wagners Tetralogie zieht auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses beinah wieder altvertraut-gemütliches Stehtheater ein. Man spielt nicht mehr auf einer Tankstelle, sondern in einem zur gewaltigen Holzpawlatschen gezimmerten Bohrturm in Baku – und erlebt als Zeitreise dessen Inbesitznahme durch die Rothschilds (Hunding) und die Devastierung durch die russische Revolution. Wotans Scheitern ist bei Frank Castorf die Pervertierung der sozialistischen Idee.
So könnte man das zumindest aus Adriana Braga Peretzkis Kostümschau interpretieren. Der Chefideologe (oder weise Philosophen-Poet) mit Karl-Marx-(oder Tolstoi-)Wallebart ist bald glatt rasiert.
War es Lenin oder Stalin?
Bezeichnenderweise wissen die Beobachter in der zweiten Pause schon nicht mehr, ob die große Projektion der Titelseite der ,,Prawda" nun Lenin oder Stalin (in Lenin-Pose) gezeigt hat. Fanatisierte Rebellen verrecken beim Sturm auf die Fabrik. Sie hängen dann nicht, wie von Wagner vorgeschrieben, den Walküren im Sattel – aber das zeigt ja ohnehin kein Regisseur der Welt. Sie liegen vielmehr mit schmerzverzerrten Gesichtern reglos auf den Treppen von Aleksandar Denic' gigantischer Bühnenkonstruktion.
"Eines will ich noch, das Ende", hat Wotan eben noch gesungen. Schon erledigt, möchte man sagen. Kaputt gehen die Dinge ja bekanntlich rasch.
Es ist oft bemerkt worden, daß der erste Aufzug der ,,Walküre" mit der berührenden Liebesgeschichte des Wälsungen- Zwillingspaars eine Oase inmitten des bösen Spiels vom notwendigen Sterben jeglicher politischer Vision darstellt. Als solche gibt man die 65 Minuten auch anläßlich der Neuins zenierung im Festspielhaus. Inmitten von Strohballen finden einander Siegmund und Sieglinde. Den Großunternehmer Hunding tricksen sie mittels eines Schlaftrunks aus – hier bewährt sich Castorfs filmische Begleitung glänzend: Man erlebt, wie die treu sorgende Gattin den Trank bereitet und sieht Franz Josef Selig in traumgequälten Schlummer versinken, während sich ein Stockwerk tiefer das schönste aller Liebesduette ereignet, von Johan Botha und Anja Kampe so leuchtkräftig gesungen, wie man es kaum je hören kann.
Kirill Petrenkos Einstudierungsarbeit trägt reiche Früchte. Schon die ersten Takte nach dem stürmische Vorspiel verraten den ganz aus der Deklamation geborenen stilistischen Weg: Grandios, wie Kampe mit Zehntelsekundenverzögerungen spürbar werden lässt, wie Sieglinde um Worte ringt, wie sie fassungslos der eigenen Emotion und sprachlos dem heimgekehrten Ehemann gegenübersteht. Selbst diese spannungsgeladenen Pausen nützt der Maestro, raffiniert disponierend, zu immer höherer Verdichtung.
Wolfgang Koch ist in diesem Zusammenhang der ideale Gestalter des Göttervaters, artikuliert den zentralen Monolog im Mittelakt mit Geschmeidigkeit und Eloquenz. Die berüchtigte, sonst oft endlos wirkende halbe Stunde vergeht wie im Flug. Schwer hat es dagegen die Brünnhilde von Catherine Foster, der es vor allem in der ,,Todesverkündigung" an Kraft und dem nötigen heldischen Timbre gebricht. Im Finale hält sie sich achtbar, und da die Höhe – bis zum sicheren C – wirklich sitzt, dürfte die ,,Ring"-Fortsetzung zumindest im ,,Siegfried" noch kein Problem darstellen . . .
Assoziation Wotan/Moses
Die ,,Götterdämmerung" beschwört Claudia Mahnkes Fricka am Beginn des zweiten Aufzugs mit machtvollem und, wie sich herausstellt, unausweichlichem Gekeife herauf. Hier darf noch einmal auch geschmunzelt werden, denn die Assoziation Wotan/Moses, die von der Maske provoziert wird, erhält mit dem Erscheinen der Fricka-Kleopatra eine amüsante Pointe: Die Verbindung mit dieser Frau muss der arme Mann als eine Art ägyptische Gefangenschaft empfinden.
Man darf bei Castorf ja davon ausgehen, im ,,Siegfried" mit dem Wanderer wieder einer ganz anderen Person zu begegnen. Das Gekreische seiner – jede wie aus einem anderen Stück hereingeschneiten – acht Töchter (nur die tieferen Stimmen klingen erträglich, die Soloeinsätze der höheren steigern sich bis hin zur Ortlinde in den Rang der akustischen Zumutung) gibt dem armen Wotan an diesem ,,ersten Tag" der Tragödie jedenfalls den Rest. Musikalisch ist der ,,Walkürenritt" aufgrund der vokalen akustischen Zumutung der Schwachpunkt eines im Übrigen herrlich musizierten, wirklich großen Wagner-Abends. Dirigent Kirill Petrenko kostet mittels minuziöser Durchleuchtung und Aufhellung des Klanggefüges das koloristische Raffinement des Wagner'schen Orchesterklangs bis zur Neige aus. Darüber geht ihm der dramaturgische Spannungsbogen nie verloren. Eine Tugend, die Frank Castorf in Bezug auf sein Theater längst als unzeitgemäß verabschiedet hat, feiert in Tönen triumphale Auferstehung.
31. Juli
Endzeit bei Castorfs ,,Siegfried": Rotweinexzess vorm BahnhofscaféBayreuther Festspiele. Die Regie löst sich völlig von Richard Wagners Operntext. Ring-Dirigent Kirill Petrenko aber wird zum Star der Saison.
Zuletzt kommt auf dem Berliner Alexanderplatz ein Krokodil gekrochen und wird von Siegfried mit Brotstückchen gefüttert: Frank Castorfs Bayreuther ,,Ring"-Unternehmung erreichte mit dem ,,Siegfried" die vollständige komödiantische Loslösung von Richard Wagners Text und einem irgendwie mit selbigem zu assoziierenden Sinngehalt.
Schon die musikalisch so gewaltige Einleitungsszene dieses letzten Aufzugs verriet, daß der Regisseur wenig Lust verspürt, sich wenigsten einmal im Verlauf der Tetralogie auch auf die metaphysischen Komponenten des Werkes einzulassen. Wotan und Erda, zwei Götter im Angesicht ihres Untergangs? Das Endzeitszenarium ist diesmal doch eher weltlichen Charakters: Man trinkt auf dem deprimierend hässlichen Bahnhofsvorplatz Unmengen von Rotwein, isst Spaghetti, verhandelt offenbar auch über sexuelle Vorlieben – bleibt aber zuletzt die Zeche schuldig.
Das Publikum bleibt angesichts der (freilich exzellent gestellten) Bilder in den gewaltigen Dekorationen Aleksandar Denics so allein gelassen mit Wagners Gedanken wie in den handwerklich weniger gelungenen Bayreuther Inszenierungen davor. Wieder muss man sich an die Musik halten – bekommt von dieser allerdings jedes erdenkliche Diskussionsmaterial geliefert. Der Star der Jubiläumssaison heißt Kirill Petrenko, so viel steht nach der dritten Premiere fest. Was Castorf verweigert, liefert der Dirigent mit Hingabe: Versenkung in den Wagner'schen Notentext, dessen möglichst punktgenaue Realisierung – und eine aus der Detailarbeit wachsende, stringente Klangerzählung von beeindruckendem emotionalen Reichtum.
In Tönen werden die extremsten Gefühls- und Stimmungsgegensätze zum Ereignis: Den modernsten Passagen der Partitur, den in atemberaubendem Tempo geschnittenen Grimassen im Dialog der eifernden Nibelungen Alberich und Mime im Mittelakt, fügen Martin Winkler und Burkhard Ulrich noch prägnante vokale Gesten hinzu. Dem salbungsvollen ersten Auftritt des Wanderers in Mimes Gewölbe verleiht Wolfgang Koch edelsten, von leuchtender baritonaler Höhe gekrönten Stimmglanz.
In der Verwandlungsmusik zum letzten Bild entfachte das Orchester dann ein Feuerwerk – dem Siegfried und Brünnhilde wenig entgegenzusetzen hatten: Catherine Foster und Lance Ryan kommen durch ihre Partien, sie mit leuchtenden Höhen, er mit Durchhaltevermögen. Daß sich die Stimme Siegfrieds qualitativ nicht wirklich vom Charaktertenor Mimes unterscheidet, lässt im ersten Akt oft Zweifel aufkommen, wer gerade singt: Ulrichs grandios karikierender Nibelung ist dabei wirklich ganz Herr seiner Rolle, ein exzellenter Singschauspieler, was man weder vom dünnstimmigen und nicht immer richtig intonierenden Waldvogel Mirella Hagens behaupten kann noch von der wenig sonoren Erda Nadine Weissmanns. Sorin Colibans Fafner hingegen stirbt nach imposanten Stentortönen in einer Gewehrsalve.
Scheitern der sozialistischen Idee?
All das beäugen Marx, Lenin, Stalin und Mao – Castorf denkt beim ,,Ring" ja an das Scheitern der sozialistischen Idee.
Immerhin hat das mehr mit Wagner zu tun als die sattsam bekannte (Anti-)Nazi-Rhetorik von Castorfs Kollegenschaft. Die ,,Götterdämmerung" entstand einst als durchaus revolutionäres, jedenfalls nicht als ,,rechtes" Gedankengebäude; Wagner hat an dem Text aus dem Revolutionsjahr 1849 ein Vierteljahrhundert später noch eisern festgehalten. Die Revolution aber frisst bekanntlich ihre Kinder; im Bayreuther ,,Siegfried" frisst schon das Krokodil die Brotkrumen. Was da für die ,,Götterdämmerung" noch zu erzählen bleibt?
2. August
Große Klangsprache, kleines SatyrspielGötterdämmerung. Frank Castorfs letzter Auftritt in Bayreuth verpuffte wie seine ganze Inszenierung des ,,Rings". Dirigent Kirill Petrenko begeisterte indessen mit bisher kaum wahrgenommenen Nuancen.
Die letzten zehn Minuten des Abends hätten Frank Castorfs allerbeste Inszenierung sein können: Als das Publikum einen Buh- Orkan anschwellen ließ (inklusive Trillerpfeifen wie anno 76 bei Chéreau), verharrte der Regisseur mit seinem Team minutenlang vor dem Vorhang. Wäre er dort stumm stehen geblieben, bis die Protestierer aufgegeben hätten, wäre das eine regieliche Meisterleistung gewesen.
Allein, er verlor die Nerven, zeigte den Zuschauern den Vogel und machte beleidigte Miene zum bösen Spiel. Endlich hob sich der Vorhang: Festspielorchester und Dirigent Kirill Petrenko hatten dahinter geduldig auf ihren wohlverdienten Applaus gewartet, den Castorf ihnen in egomanischer Selbstüberschätzung offenbar vorenthalten wollte. Im Jubelsturm musste er sich nach kurzem Zögern trollen. Die Selbstinszenierung verpuffte wie die ganze Produktion des ,,Rings des Nibelungen" wegen Mangels an Konsistenz.
Die Handlung sollte in der Neuinszenierung zum Satyrspiel auf den Verfall einer Idee – diesfalls der sozialistischen – werden. Nun verzichtet Castorfs Theater in der Regel auf zusammenhängende Handlungsstränge. Das ist hier doch zum Problem geworden. In den imposanten Dekors von Aleksandar Denic waren freie Bild- Assoziationen zum Niedergang des Kommunismus zu erleben. Daß dessen Ende nun schon seit einem Vierteljahrhundert Realität ist, macht den Regieversuch nicht gerade aktueller.
Am Ende kommt noch die Wall Street . . .
So fehlt der Show jede Brisanz. Daß am Ende noch die Wall Street auftaucht, vor der Brünnhilde Benzin ausgießt, es dann aber doch nicht entzündet, macht es noch schlimmer: Der Westen war zuvor 14 Stunden lang gar kein Thema gewesen, man hatte kaputte Menschen der ehemaligen DDR in ihrer völligen Illusionslosigkeit gesehen . . . Für den Verfall von Werten sind unserer Gesellschaft längst andere Menetekel vor Augen geführt worden, die im 21. Jahrhundert einer klugen szenischen Harmonisierung mit Wagners Bildsprache bedürften. Dergleichen bleibt Castorf schuldig.
Musikalisch sind Wagners Warnschüsse freilich in aller Drastik zu vernehmen. Kirill Petrenkos Deutung der vier Partituren wirkt geboren aus der Liebe zu den Details, die ein untrügliches Gespür für die Vernetzung einzelner Teile zu großen, oft über Stunden gespannten Sinneinheiten bündelt. Anders als in der nicht minder bemerkenswerten Interpretation Christian Thielemanns (2006-2011) scheint die große Linie diesmal nicht Vorgabe, sondern Produkt kleiner und kleinster musikalischer Gärungsprozesse.
Petrenko nimmt eine entscheidende Innovation Wagners, die Emanzipation des Klangs, ernst. Tatsächlich kommt ja die Musik im ,,Ring" durch Farbschattierungen in Fluss. Der berühmte ,,Rheingold"-Beginn ist die Vorwegnahme dessen, was Schönberg später als seine Erfindung postulierte, ,,Klangfarbenmelodie". Ähnlich verhält es sich bei Petrenko nicht nur in den raffinierten Metamorphoseprozessen der Zwischenspiele, die aus Wolkenhöhen nach Nibelheim führen oder, besonders funkelnd, durch den Feuergürtel auf den Brünnhildenstein. Auch in sonst kaum beachteten Klangexperimenten in den tiefsten Registern, etwa im Vorspiel zum ,,Siegfried", mischt der Hexenmeister Wagner auf der Riesenpalette seines reich differenzierten Orchesters fortwährend neue Valeurs – und gewinnt daraus die Energieschübe für die Entwicklung des Dramas.
So staunten in Bayreuth selbst Kenner über unzählige Nuancen, die sie in Dutzenden ,,Ring"-Aufführungen nie wahrgenommen haben. Dazu kommt die akribische Einhaltung von Wagners dynamischen Vorschriften. Ein Beispiel: Wenn der Wanderer im ersten ,,Siegfried"-Akt über die Riesensippe philosophiert, notiert Wagner nur den ersten Ton des Leitmotivs forte – daß alles Übrige piano gespielt werden soll, übersehen so gut wie alle Dirigenten. Wer das zum ersten Mal hört, denkt an Willkür. Die Partitur lehrt: Es ist die fantastische Ausdruckswillkür Wagners, nicht seines Interpreten.
Ein Wotan ,,zum Mitschreiben"
Die Sänger können mit alledem kaum mithalten, leuchtende Ausnahmen sind zu registrieren: Über die ersten drei Abende dominiert der schönstimmige, klug gestaltende und ,,zum Mitschreiben" deutlich deklamierende Wotan Wolfgang Kochs. In der ,,Walküre" singen die Wälsungen-Zwillinge, Anja Kampe und Johan Botha, prachtvoll und leuchtkräftig. Doch die Brünnhilde Catherine Fosters entpuppt sich spätestens in der ,,Götterdämmerung" als zu leichtgewichtig. Die Höhe sitzt, doch den hochdramatischen Momenten während der Schwurszene fehlt es wie dem Schlussgesang an dramatischem Format, an der Möglichkeit zur differenzierten Gestaltung. Wer spricht von Siegen?
Dem Siegfried Lance Ryans, der Kraft genug hat, bis zuletzt alles zu übertönen, mangelt es eklatant an Stimmschönheit. Doch um ihn wird man nicht herumkommen, Heldentenöre, die so souverän beide Abende durchhalten, sind selten. Hingegen gibt Martin Winkler, Wien-Import wie der fulminante Loge von Norbert Ernst, einen überzeugenden, prägnant-beißenden Alberich, dem Attila Juns Hagen nicht das Wasser reichen kann. Die Bayreuther Besetzungspolitik ist vor allem bei mittleren und kleinen Rollen problematisch. Damen-Trios sind allzu ungleich besetzt. Waldvogel, Woglinde, einige der Walküren-Schwestern bieten unterdurchschnittliche Leistungen. Claudia Mahnke als Fricka, Waltraute und Zweite Norn zeigt dagegen vor, was mit Deutlichkeit zu erreichen ist: Verquickung des vokalen Ausdrucks mit den ungemein beredten Orchesterklängen.
Das sollte wegweisend für die Nachjustierungen sein, die in der ,,Werkstatt Bayreuth" immer zu erwarten sind. Der neue ,,Ring" soll bis 2018 im Repertoire bleiben.