Oper in Stream und TV

Zwischentöne In Krisenzeiten schauen tagtäglich 100.000 Menschen Oper

Wenn auch derzeit Musiktheater-Produktionen lediglich via Streaming unters Volk gebracht werden können: Die Zahlen sind erfreulich.

Es hat manche Kritik gegeben, als Wiens Opernchef Dominique Meyer ankündigte, er werde, unterstützt von Samsung, einen Streamingdienst für die Staatsoper einrichten, der technisch konkurrenzlose Übertragungen aus dem Haus am Ring ermöglichen sollte.

Skeptische Stimmen meinten damals, es werde schon daran scheitern, dass für qualitätvolle Aufzeichnungen von (notorisch jedenfalls nicht bildschirmtauglich beleuchteten) Opernvorstellungen zumindest ein virtuoses Regie- und Kamerateam gebraucht würde. Nun beweist die engagierte Gruppe um Christopher Widauer mehrmals im Monat, dass sie mit den fix installierten, fernsteuerbaren Kameras mühelos exzellente Bilder einzufangen weiß. Auch die Tonqualität entspricht dem High-Definition-Bild.

Mittlerweile hat die Staatsoper über 300 Vorstellungen aufgezeichnet. Das singuläre Archiv ermöglicht es überdies, jederzeit zu beweisen, auf welch enormem Niveau man hierzulande im Repertoire Oper spielt.

Wenn denn gespielt werden darf. Derzeit entpuppt sich das Streaming-Archiv als Segen, weil via Onlineplattform seit Beginn der Krise Abend für Abend ein anderer Mitschnitt in die virtuelle Opernwelt geschickt werden kann. Und diese Welt schaut zu.

Die ersten Zahlen darf man getrost als sensationell bezeichnen. Haben sich doch für den - derzeit kostenlosen - Streamingdienst bereits in den ersten Tagen 160.000 neue Abonnenten angemeldet.

Was aber noch wichtiger ist: Sie nutzen ihre Chance. Jeder der bisher angebotenen Streams erreichte über 100.000 Zuschauer. Das ist ein Gegenwert von mehr als vierzig ausverkauften Vorstellungen. In den ersten Tagen der Aktion haben also mehr als eine Million Menschen die Wiener Staatsoper besucht.

Virtuell. Aber immerhin. Was sich der Politiker denkt, der vor einiger Zeit unüberlegt und nicht wirklich kreativ eine "Oper 4.0" gefordert hat, wüsste man gern. Die Cyber-Oper gab's ja da längst. Und Wien war das Labor, in dem sie ihre ganze Dynamik entfalten konnte.

Einen echten Ersatz für die entgangenen Live-Erlebnisse wird auch die kühnste Weiterentwicklung zwar nie bieten. Aber der Werbeeffekt, den der digitale Pausenfüller für das Wiener Kulturleben darstellt, ist nicht zu unterschätzen.

Immerhin stammen mehr als 80 Prozent der neuen Streaming-Abonnenten aus dem Ausland, nicht nur aus Europa, sondern auch aus den USA und China. Bei den Live-Veranstaltungen lag der Prozentsatz an einheimischen Staatsopern-Besuchern freilich immer noch bei 70 Prozent.

Die warten jetzt, ab wann wieder wirklich gespielt wird - und auf den ersten Saisonprospekt der künftigen Direktion. Er soll am 26. April vorliegen, ob live präsentiert, wie geplant, oder als Programmbuch - jedenfalls nicht nur virtuell.