Paris in Not

Lissner verlässt Paris vorzeitig

Opera in Not. Die beiden großen Opernhäuser der französischen Hauptstadt, das Palais Garnier und die "Bastille", sind nicht erst durch die Pandemie ins Schlingern geraten.

Nicht nur das Virus sorgt bei Kulturbetrieben für Millionenverluste: Stephane Lissner, der Ende des Jahres, sechs Monate früher als geplant, von seinem Posten als Intendant der Opera de Paris zurücktritt, hinterläßt seinem Nachfolger, Alexander Neef, ein Defizit von 40 Millionen Euro. Das hat nicht nur mit der Schließung aufgrund der Covid-Plage zu tun, sondern mit einem hausgemachten Problem der französischen Innenpolitik: den Ausfällen, die die Streiks gegen die geplante französische Rentenreform verursachten. Die Folgen der gewerkschaftlichen Protestaktionen schlagen allein mit 14 bis 15 Millionen Euro zu Buche.

"Man hat mich sehr kritisiert dafür, dass ich im Dezember 2019 die Streikenden der Pariser Oper unterstützt habe", sagt nun Stephane Lissner in einem Zeitungsinterview. Die französische Tageszeitung "Le Monde" beziffert indes den Fehlbetrag durch die Ausfälle durch die Pandemie mit 31 Millionen Euro. Lissner zur finanziellen Situation: "Die Opera de Paris wurde in die Knie gezwungen."

Während Stephane Lissner demnächst die Leitung des Teatro San Carlo in Neapel übernehmen soll, erhielt sein designierter Nachfolger, Alexander Neef, den offiziellen Auftrag, im Verein mit Martin Ajdari, seinem stellvertretenden Generaldirektor, ab 1. Juli einen Bericht über die Situation der beiden Häuser - Opera Bastille und Palais Garnier - zu erstellen - "am Ende einer Saison der beispiellosen Krise", wie es in einer Pressemitteilung des Kulturministeriums heißt.

Konzepte für die Zukunft

Bis Herbst 2020 sollen Leitlinien eines Konzepts erarbeitet werden, die bei Erhaltung der künstlerischen Potenz der Opera national de Paris für eine wirtschaftliche, soziale und organisatorische Neuorientierung sorgen sollen.

In Paris geht man davon aus, daß der Opern- und Ballettbetrieb in den beiden Häusern gestaffelt wieder aufgenommen werden soll: Ende November im Haus an der Bastille, im Jänner 2021 im Palais Garnier. Vollkommen gefallen ist offenkundig das Abschiedsprojekt des künftigen Musikdirektors der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, der bis Ende des Jahres einen neuen "Ring des Nibelungen" herausbringen wollte. Sein Wiedereinstieg in den internationalen Opernbetrieb soll nun plangemäß kommenden September mit der Premiere von Puccinis "Madame Butterfly" stattfinden.

In Paris erinnern sich Opernfreunde daran, dass der Beginn der Ära Stephane Lissners, des ehemaligen Musikchefs der Wiener Festwochen, mit einer finanziellen Abgeltung für seinen Vorgänger, Nicolas Joel, begann, der ebenfalls sechs Monate früher als geplant seinen Posten räumte.

Für Mißtöne sorgten auch die enormen Ausfälle, die durch die Streikwelle bedingt waren: Mehr als 70 Vorstellungen mussten gestrichen werden, oft aus haarsträubenden Gründen. So soll es einmal aufgrund der Dienstverweigerung eines einzelnen Musikers zur Absage einer aufwendig einstudierten Produktion gekommen sein, weil just dieser Musiker, der heikle Soli zu absolvieren gehabt hätte, nicht kurzfristig ersetzt werden konnte.

Kritiker der Streikaktionen haben nachgerechnet, dass durch die Absagen wegen der Proteste gegen die Rentenreform höhere Einnahmeverluste entstanden sind als der jährliche Beitrag des Staats zur Pensionskasse für die Angestellten der Opera de Paris beträgt.

Viel besprochen wurde auch die Tatsache, daß die Tänzer der Pariser Ballett-Compagnie an einem System festhalten möchten, das seit 1698 besteht: Sie dürfen sich seit Ludwigs XIV. Zeiten mit 42 Jahren zurückzuziehen.

Freilich: Der Sonnenkönig war selbst Tänzer und wußte, was dieser Beruf jedem einzelnen Mitglied der Truppe abverlangt.