Rattles Exitstrategie

Simon Rattle dreht möglichen Nachfolgern eine Nase

Keinesfalls verlängern will der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker seinen Vertrag, der bis 2018 läuft. Als hätte das jemand angenommen . . .

Sir Simon Rattle wird seinen Vertrag als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker nicht weiter verlängern. 2018 möchte der britische Maestro, wie er eben bekannt gab, ,,die große und großartige Herausforderung" in anderen Händen wissen. Was bedeutet es, daß er das jetzt, fünf Jahre vor dem Stichtag (!), schon sagt?

Daß Rattle oder die Musiker Lust darauf verspüren könnten, weitere Lebens- und Arbeitszeit miteinander zu verbringen, galt schon zum

Zeitpunkt der Bekanntgabe der jetzt gültigen Vertragsverlängerung als ausgeschlossen. Der künstlerische Ausbund des Verhältnisses ist nicht berauschend. Es war bald offenbar, daß es ein himmelweiter Unterschied ist, ob man aus einem No-Name-Ensemble in Birmingham einen interessanten Klangkörper formt oder ein Weltorchester zu Reisen bis an die Ränder seines Horizonts – zuweilen mit Blick darüber hinaus – zu führen imstande ist.

Wer einen tauglichen Chefdirigenten für die Berliner Philharmoniker benennen möchte, hat zunächst einmal die Frage nach der Kompetenz eines Interpreten im Kernrepertoire zu beantworten. Rattle ist groß geworden, weil er – um ein Beispiel zu nennen – das City of Birmingham Symphony Orchestra dazu gebracht hat, ein heikles Werk wie Igor Strawinskys ,,Sacre du printemps" mit einer Leichtigkeit zu präsentieren, als wäre es ein swingendes Unterhaltungsstück.

Daß ihm das gelungen ist, war eine Meisterleistung. Er kann so etwas. Er ist auch imstande, diese seine animatorischen Fähigkeiten in manchen klassischen Bereichen – bis hin zu Mozarts ,,Così fan tutte" – einzubringen. Da erreicht er auch mit Spitzenensembles wie den Wiener Philharmonikern brillante Ergebnisse.

Bei Beethoven-, Brahms- oder Bruckner-Symphonien geht ihm hingegen spürbar früher die Luft aus als Orchestermusikern, die mit diesen Werken groß geworden sind. Das hat Berlin zu spüren bekommen – wie Wien bei manchem Wagner-Versuch.

Ob es den Berlinern gelingen kann, ab 2018 das gesunde kulturell- sportliche Konkurrenzverhältnis mit den Wienern wieder aufleben zu lassen, wird sehr davon abhängen, ob man sich an der Spree von PR-tauglichen Avantgarde- und Randrepertoire- Popularisierungsaktionen wieder in Richtung großer klassisch- romantischer Herausforderungen bewegt und auf diesem Sektor Konkurrenzfähiges – und Vorbildliches – leistet.

Dazu müsste man auf Karajans, nicht auf Rattles oder auch Abbados Spuren wandeln. Selbstdarsteller vom Range eines Gustavo Dudamel wären damit ausgeschlossen. Doch die Frage, ob Thielemann kommt, darf höflichkeitshalber nicht gestellt werden. Der Gesuchte hat ja eben erst bei der Staatskapelle Dresden begonnen. Es ist daher ein maliziöser Schachzug, mit Abschiedsgrüßen die Nachfolgediskussion frühzeitig auszulösen.