Im Gespräch. Der Tenor im Ausklang seiner bisher intensivsten Wiener Saison: Den Gustavo in Verdis ,,Maskenball" hat er für die Staatsoper in vier Tagen gelernt. Auch sonst ist das Singen für ihn nicht Mühsal, eher Lebensgrundlage.
Opernengagements kommen hie und da auf kuriose Weise zustande. Die laufende Serie von Bizets ,,Carmen" an der Wiener Staatsoper entstand beispielsweise durch einen Telefonanruf nach einer Vorstellung in derselben Konstellation in Londons Covent Garden
Opera: ,,Es stimmt, Elina Garanca, Bertrand de Billy und ich, wir saßen nach der Aufführung beim Diner, als das Handy läutete: Dominique Meyer fragte, ob wir alle beisammen wären und meinte: Sucht Termine, wenn ihr gemeinsam Zeit habt . . ."
Roberto Alagna hat mittlerweile den Don José in aller Welt gesungen und auch andere Partien in ,,heldischeren" Regionen erarbeitet, ohne daß er die Lust am Belcantofach verloren hätte. Geändert, so meint der Tenor, hätte sich durch die Ausweitung des Repertoires weniger die Stimme als sein Zugang zur Gesangskunst. Das hat offenbar viel mit Erwartungshaltungen zu tun.
„Wenn man jung ist und sich ein wenig ins schwerere Fach wagt", plaudert Alagna aus der Schule, ,,dann sagen die Leute: Die Stimme ist sicher noch zu leicht für diese oder jene Rolle. Dann will man gegensteuern. Als ich den Don José das erste Mal sang, habe ich versucht, die Stimme dunkler zu färben. Heute singe ich so natürlich wie möglich. Das ist viel besser für die Stimme."
Jedenfalls hat Alagna die Beweglichkeit behalten, die nötig ist, um weiterhin neben Bizet oder Puccini auch Donizetti zu singen: ,,Unlängst war ich wieder einmal Nemorino im ,Liebestrank'. Die Opernfans stellen ja sofort Aufnahmen auf YouTube. Als ich den Livemitschnitt hörte, dachte ich: Die Stimme klingt jünger als je zuvor . . ."
Das Repertoire wächst ,,über Nacht"
Und das Repertoire wird immer breiter: Stéphane Lissner, demnächst Intendant in Paris, holt den geborenen Franzosen mit italienischen Wurzeln heim: ,,Er hat mir die unterschiedlichsten Dinge angeboten, von ,Manon Lescaut' über ,Cavalleria rusticana' mit Elina Garanca bis zum ,Liebestrank'. Und auch französisches Repertoire wie die ,Penelope' von Fauré".
Französische Oper, ein wenig abseits des Mainstreams, ,,macht mir Freude. Demnächst plane ich mein Debüt in Berlioz' ,Trojanern', auch ,Roi Arthus' von Chausson interessiert mich." Neue Partien zu lernen macht diesem quirligen, immer noch bubenhaften Mann keine Mühe: ,,Ich lerne schnell. Verdis ,Maskenball' habe ich für mein Debüt hier in Wien in vier Tagen gelernt. Ich leide ja unter Schlaflosigkeit. Das ist zwar schrecklich, aber in diesem Fall nützlich. Wenn ich eine neue Partie zu lernen habe, stehe ich um vier in der Früh auf, studiere, damit ich um zehn gerüstet für den Korrepetitor bin."
Vom Erfolg konnten sich die Wiener Opernfreunde in der laufenden Saison überzeugen, in der Alagna so häufig wie nie zuvor an der Staatsoper zu erleben war. Demnächst steht noch der Cavaradossi in Puccinis ,,Tosca" auf dem Spielplan.
Dann Fauré und die ,,Trojaner" – wie man sich einen studierenden Roberto Alagna vorstellen muss? Am Klavier, sich selbst begleitend? ,,Nein, ich bin ja kein Pianist, ich spiele Gitarre. Aber ich kann Noten lesen", sagt er und lacht verschmitzt. Sogar wenn es um Uraufführungen geht, hat den Künstler seine musikalische Vorstellungskraft noch nicht im Stich gelassen.
„Die erste Rolle, die ich auf der Bühne gesungen habe, war der Tonio in Donizettis ,Regimentstochter'. Da war ich noch nicht einmal 20. Wir machten Schulaufführungen mit Klavierbegleitung. Für mich war das eine lockere Sache."
An die gerade für den Tonio hohen Cs und ob es schwierig sein könnte, sie zu erreichen, dachte der junge Mann nie: ,,Ich sang damals in Kabaretts. Oper war für mich eine andere Art von Unterhaltungstheater. Über Spitzentöne habe ich so wenig nachgedacht wie über alles andere." Er ,,hatte" sie offenbar mühelos. ,,Mit meinem Gesangslehrer habe ich zuvor für zwei Jahre schon an Opernrollen gearbeitet. Ich erinnere mich noch gut, wie er mich zu Beginn Skalen singen ließ. Ich sang und er stoppte mich und sagte: Mein Gott, jetzt hast du gerade das hohe C gesungen. Und ich: ja, und? Für mich war das kein Thema. Ich stamme aus einer Familie, in der es viele Tenöre gibt. Vater, Onkel – Oper war in meiner Kindheit meine große Liebe, aber geheim, ich hatte Scheu, weil ich von so vielen guten Sängern umgeben war . . ."
Den Durchbruch brachte für Alagna ein Auftritt in einer Rolle, die von den meisten Tenören gefürchtet wird: der Alfredo in Verdis ,,Traviata": ,,Mir hat er Glück gebracht", sagt Alagna, ,,bei meinem offiziellen Debüt im Rahmen des Glyndebourne Festivals 1988. Ich war sehr jung, hatte ein paar Proben mit Klavier, dann bot sich die Chance, zum Finale des Pavarotti-Wettbewerbs nach Philadelphia zu fliegen. Die Festivalleitung hat mir vertraut, die haben mich fortgelassen, ich gewann den Wettbewerb und kam zurück, ging auf die Bühne, ohne je eine Orchesterprobe gemacht zu haben. Dann ging alles schnell, Alfredo habe ich danach über 150-mal in aller Welt gesungen . . ."