"Salome" mit Lise Lindstrom

Philharmonische Bibel-Exegesen im Art-deco-Gewand

Staatsoper. Parallel zur Neuproduktion an der Wien spielt man am Ring "Salome" in originaler, voller Orchesterbesetzung mit spannenden Debüts.

22. Jänner 2020

Wie wichtig Richard Strauss gerade für Wien ist, mag man daran ablesen, dass seine bedeutendsten Opern nie aus dem Repertoire verschwunden sind, obwohl bis 31. 12. 2019 Tantiemen entrichtet werden mussten. Dass sein Werk nun "gemeinfrei" ist, erkennt man daran, dass etwa im Theater an der Wien jetzt "Salome" in reduzierter Orchesterfassung gegeben wird - ein fragwürdiges Unterfangen, wenn nebenan das philharmonische Staatsopernorchester gerade diese Partitur als eines seiner Schlachtrösser betrachtet.

Egal, wer am Dirigentenpult steht, möchte man ergänzen. Die 242. Aufführung der immer noch stimmungsvollen Art-deco-Inszenierung Boleslaw Barlogs sollte Mikko Franck betreuen, der absagen musste, durch Michael Boder ersetzt wurde, der im letzten Moment wegen einer Verletzung nicht dirigieren konnte - und Dennis Russell Davies Platz machte. Dessen "Salome" kennen die Musiker - er nimmt sich sehr viel Zeit, um die großen Steigerungen auszukosten, während die unzähligen Details, die hier glitzern, funkeln, grummeln und knurren, ihr kunterbuntes Mit-, Neben- und Durcheinander entsprechend pittoresk, wenn auch nicht unbedingt mehrheitlich in der vorgeschriebenen Präzision absolvieren.

Ein genügend explosiver Untergrund jedenfalls für das Drama, das sich umso intensiver entfaltet, als die Darsteller ihre Vorstellungen von den Figuren im adäquaten Ambiente, jenseits jeglicher Regie-Verdrehung, zeigen können. Voran Lise Lindstrom. Salome ist ihre allerbeste Partie. Hier entfaltet sich der helle Sopran ungehindert und auch gegen die wütendsten Orchester-Attacken kraftvoll und sicher. Sie wirkt beim Schlussmonolog so frisch wie im Dialog mit Jochanaan, der diesmal dank des Debüts von Michael Volle zum packenden Ereignis wurde. Der Prophet schüttelt mit Mühe seine Gefängnisstarre ab, um ein darstellerisches wie vokales Crescendo zum niederschmetternd-unausweichlichen Fluch zu entfesseln. Salome verwandelt sich in seinem Angesicht vom kindlich-frechen Fratzen zum unversöhnlichen Racheengel. Das sitzt.

Waltraud Meiers Debüt als Herodias

Wäre nach dem atemberaubenden Orchesterzwischenspiel nicht Herwig Pecoraro erschienen, um den Herodes zur Knallcharge zu degradieren - abgesehen von stimmlichen Schwächen verzichtet er, fortwährend mit dem Blick zum Dirigenten, auf jede schauspielerische Ambition -, die Aufführung wäre zur Sternstunde geworden. Hatte doch immerhin Waltraud Meier die Staatsoper als Schauplatz für ihr Weltdebüt als Herodias gewählt - und punktete mit ihrer ganzen, umwerfenden Persönlichkeit. Die Ensemble-Kräfte veredelten dank Ulrike Helzels Pagen und Carlos Osunas Narraboth vor allem die erste Dreiviertelstunde - danach lag die ganze Last auf Lise Lindstrom; und die trug sie mit schleiertänzerischer Leichtigkeit.