Richard Wagners Festspiele waren die ersten in Europa. Dass die Salzburger den Bayreuthern so erfolgreich Konkurrenz gemacht haben, liegt vor allem an Arturo Toscanini und Herbert von Karajan.
Festspiele? Es gibt nur zwei, die in der ersten Liga spielen: Bayreuth und Salzburg. Richard Wagners egomanisches Projekt war einem kulturpolitischen Gedanken entsprungen: Der Dichter-Komponist, bewegt vom revolutionären Geist des Jahres 1848, wollte sein welterlösendes Spiel vom Untergang der Götter und der Hoffnung auf eine neue Welt in einem kühnen künstlerischen Akt präsentieren. Das eigens für diesen Zweck errichtete Festspielhaus am Rhein sollte unmittelbar nach der Aufführung wie die alten Götter in Flammen aufgehen.
Das schließlich realisierte Bayreuther Festspielhaus überlebte sogar zwei Weltkriege. Auch die politischen Konnotationen entfernten sich oft ziemlich weit von den ursprünglich formulierten.
Zeitgeist und Weltpolitik trieben auch die Salzburger Festspielgründer an. Hugo von Hofmannsthals Vision von einem künstlerischen "Friedensprojekt" entstand unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie. Und hob einen alten Salzburger Festspiel-Gedanken in neue, höhere intellektuelle Sphären.
An sommerliche Theater- und Musikveranstaltungen hatte man an der Salzach schon viel früher gedacht; und zwar durchaus nach Bayreuther Vorbild. Es war Hans Richter, der Uraufführungsdirigent des "Rings des Nibelungen" von 1876, der wenig später anlässlich eines Salzburger Mozart-Fests meinte, was im Fränkischen für Richard Wagner gelungen sei, sollte doch an der Salzach für Mozart möglich sein.
Viel mehr als "nur Mozart"
Mozart-Feste hatten die Salzburger seit den Feiern zur Errichtung des Mozart-Denkmals immer wieder veranstaltet. Doch die Festspielgründer dachten in weiteren Dimensionen. Nur dass Salzburg in der Wahrnehmung der Welt zum bedeutendsten Musikfestival werden konnte, schien zunächst keineswegs ausgemacht.
Wenn heute das Festspiel-Jubiläum gefeiert wird, dann zelebrieren wir in Wahrheit 100 Jahre "Jedermann" auf dem Domplatz. Denn erst 1922 erklang die erste Oper im Rahmen des Salzburger Sommerspektakels. Und erst ab 1925 war überhaupt ein regelmäßiger Spielbetrieb gesichert.
Von da ab herrschte freilich die Musik - und programmgemäß nicht nur die Musik Mozarts. Max Reinhardts Schauspielproduktionen markierten zwar einen viel beachteten Theaterschwerpunkt im Festspielplan. Doch die eigentlich tonangebenden Figuren in der internationalen Wahrnehmung wurden bald - und im wahrsten Sinn des Wortes - die Dirigenten.
Der Name Herbert von Karajan fällt vermutlich den meisten Menschen als erster ein, wenn es darum geht, den alles überragenden Festspielmacher der 100-jährigen Geschichte zu benennen. Tatsächlich war Karajan drei Jahrzehnte lang die unumstrittene Galionsfigur.
Und das Schicksal wollte es, dass er - noch als Heribert von Karajan - schon in den ersten Jahren der Festspiele dabei war: Bei den legendären Soireen, zu denen Festspielgründer Reinhardt in sein Schloss Leopoldskron bat, sorgte das junge, aufstrebende Talent am Klavier für die musikalische Untermalung. 1933 war Karajan dann einer der Dirigenten der Schauspielmusik zum legendären "Faust"-Projekt Reinhardts mit Ewald Balser und Paula Wessely in der von Clemens Holzmeister in die Felsenreitschule gebauten "Faust-Stadt".
Dass Holzmeister für ihn später einmal das Große Festspielhaus in den Mönchsbergfelsen hauen lassen würde, konnte selbst der notorisch ehrgeizige Karajan damals nicht ahnen. Er erlebte freilich mit, wie sein großes Vorbild Arturo Toscanini die Festspiele endgültig zur Bühne der großen Maestri machte.
Und wieder war die Politik im Spiel.
Und wieder ging es auch um Bayreuth!
Als Karajan den Taktstock in der Felsenreitschule schwang, um Reinhardts "Faust"-Inszenierung musikalisch zu untermalen, hatte in Deutschland Hitler schon die Macht übernommen. Der italienische Heißsporn Toscanini, der die Jahre davor unter großem Beifall aus aller Welt die Wagner-Festspiele dominiert hatte, weigerte sich daraufhin, in Bayreuth wieder aufzutreten. Deutschland war für ihn verloren. Das ständestaatliche Österreich bot ihm Gelegenheit, sich zu revanchieren: Salzburg wurde von 1934 bis 1937 Toscaninis Hochburg.
Als Salzburg "deutsch" geworden war
Musik von Wagner hatte vor ihm hier zwar schon der große Kollege Bruno Walter dirigiert: Der hatte 1933 eine Neuproduktion von "Tristan und Isolde" herausgebracht. Doch nun gab es neben Mozart und Beethovens "Fidelio" mit Toscanini die ursprünglich für Bayreuth geplante Einstudierung der "Meistersinger von Nürnberg".
Ebendieses Werk sollte 1938, als auch Salzburg "deutsch" geworden war und Toscanini sich fernhielt, Wilhelm Furtwängler an der Salzach dirigieren. Es ist eine der schmerzlichen Wahrheiten, dass künstlerische Qualität keine politischen Grenzen kennt. Auch unter dem Hakenkreuz machte man in Salzburg Musik auf höchstem Niveau. Und die Dirigenten dominierten.
Auf Toscanini und Walter folgten Furtwängler und Karl Böhm. Clemens Krauss war als Intimus des Festspielgründers Richard Strauss ohnehin seit den Zwanzigerjahren dabei gewesen - und sorgte nach dessen Vorgaben für eine Ausrichtung des Musikbetriebs nach Wiener Vorbild; nun übernahm er von Hitlers Gnaden die Führung und machte "deutsche Festspiele".
Nach 1945 konnten auch heftige Angriffe auf die sogenannten "Nazi-Dirigenten" nicht verhindern, dass mit Aufhebung des Dirigierverbots durch die Alliierten Furtwängler zurückkehrte und bis zu seinem Tod der große Mann der Salzburger Festspiele blieb. Karl Böhm stieg zum unverzichtbaren "zweiten Mann" auf - und sollte das bis zu seinem Tod, 1981, bleiben.
Die Wiederkehr des unzweifelhaft "ersten Manns" wurde zunächst durch Furtwängler verhindert: Herbert von Karajan konnte seinen Lebenstraum, die Festspiele in seiner Heimatstadt prägend zu gestalten, erst nach dem Tod jenes Dirigenten realisieren, der doch neben Toscanini sein bedeutendstes künstlerisches Vorbild war . . .
Dann aber gab es kein Halten mehr: Karajan, der während des Furtwängler-Vetos die Eröffnungsvorstellungen der 1951 wieder gegründeten Bayreuther Festspiele dirigiert hatte, übernahm in Salzburg die Macht. Im Wagner-Festspielhaus war Wieland Wagner sein übermächtiger Partner gewesen. Hier herrschte er unumschränkt.
Karajans Landnahme
Über Karajans Ära jubelte das Publikum und nörgelte die Kritik, sie war ihr zu glamourös, zu sehr an Mozart, Verdi und Starglanz orientiert. Wahrheitsgemäß sollte eine Chronik aber festhalten, dass es damals mehr bedeutende Uraufführungen gegeben hat, als das danach jemals wieder möglich wurde: Henze und Orff, Berio oder Penderecki komponierten neue Opern. Vergleichbares ist danach bestenfalls diskutiert, aber nie mehr realisiert worden.
Mit der Vertonung des "Baal" konnte überdies ein Österreicher, Friedrich Cerha, einen Welterfolg landen; und gleich auf charmante Weise den einst von Gottfried von Einem in Salzburg angezettelten "Fall Brecht" endgültig abhaken.
Auch war es unter Karajans Ägide, dass im Schauspielprogramm fünf Uraufführungen von Stücken Thomas Bernhards aufschienen - aber das ist schon wieder eine andere Salzburger (Erfolgs-)Geschichte . . .