Die Freude im Vorjahr war groß: Die Wiener Symphoniker hatten eine Dame an ihr erstes Pult gebeten: Sophie Heinrich, Mitglied des Orchesters der Komischen Oper Berlin, hatte sich um die Konzertmeisterstelle beworben und das Probespiel gewonnen. Sie begann bei den Bregenzer Festspielen ihr Probejahr. Dann kam Corona und man war sich im Klaren darüber, dass es extrem unfair wäre, die nötige Abstimmung, die nach Ablauf des Probejahrs eine probeweise Bestellung in eine endgültige verwandelt, nach Wochen und Monaten abzuhalten, in denen keine Konzerte stattfinden konnten.
Also entschied man, sechs Monate anzuhängen. Die sind nun verstrichen. Die Musikergemeinschaft hat abgestimmt - und die Kollegin nicht bestätigt. Das heißt: Wieder keine Frau am führenden Pult des großen Wiener Konzertorchesters. So ähnlich wird es nun allseits heißen.
Ganz abgesehen von der Tatsache, dass in solchen Fragen nach wie vor Wagners "Meistersinger"-Prinzip gelten muss: "Hier gilt's der Kunst", der Sachverhalt ist in diesem Fall mehr als kompliziert und verwirrend.
Sophie Heinrichs Probephase fiel in die Zeit des Chefdirigentenwechsels. Als sie ausgewählt wurde, saß zwar noch Philippe Jordan in der Jury, machte aber fairerweise von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch. Sein Nachfolger, Andres Orozco-Estrada durfte sich noch nicht äußern. Er hat aber im Oktober dieses Jahres, in einer Phase, als zumindest Konzerte vor reduziertem Auditorium möglich waren, mit Sophie Heinrich am ersten Pult Richard Strauss' "Heldenleben" aufgeführt - und für CD eingespielt.
Ausgerechnet! Der Zufall wollte es, dass dieses Werk eines der gefürchtetsten, schwierigsten Konzertmeister-Soli der Musikgeschichte enthält - und dass es eines der wenigen Soli war, die Sophie Heinrich in diesem verkappten Probejahr überhaupt zu spielen bekam; abgesehen von einem kurzen Solo in Massenets "Don Quichotte" anlässlich ihrer allerersten Dienste im Verband der Symphoniker bei den Bregenzer Festspielen 2019.
Nun bot das "Heldenleben" der Geigerin Gelegenheit für einen geradezu theatralischen Auftritt - "Presse"-Kritiker Walter Gürtelschmied nannte ihn "fulminant" - "schön Spielen" ist in diesem Fall kaum gefragt.
Überdies kommt es bei einer Konzertmeisterin noch auf ganz andere Qualitäten an, die weniger in Richtung Publikum als ins Orchester hinein wirken. Die haben sich in den gestörten Spielzeiten nicht wirklich evaluieren lassen. Vielleicht wäre die Abstimmung nach einer "ganz normalen" Saison anders ausgegangen.
So aber wollte sich das Musiker-Kollektiv offenbar nicht auf Jahrzehnte festlegen. Das ist für die Betroffene hart. Unredlich ist es wohl nicht.