Streaming

Ab sofort feiern wir hier in Österreich jede Woche Neujahr Streaming. Die Plattform "Fidelio" zeigt bis Silvester im Siebentage-Rhythmus Mitschnitte der philharmonischen Walzerkonzerte seit 2010.

In diesen Tagen, da der Spaßgesellschaft ihr längst realisierter immerwährender Fasching verleidet wird, kann es nicht schaden, wenn man uns zumindest in Aussicht stellt, dass Neujahr nicht nur am 1. Jänner zu feiern ist. Wer sich ein Dutzend DVDs zulegt, kann das Spielchen spielen, wann immer er will. Als Abonnent des Streaming-Dienstes "Fidelio" sitzt man nun aber Sonntag für Sonntag zur rechten Stunde in der fußfreien Reihe im Wiener Musikverein - und erlebt ein philharmonisches Neujahrskonzert. Bis zum 27. Dezember läuft Woche für Woche jeweils um 11 Uhr die Aufzeichnung der Neujahrskonzerte seit 2010.

Am 30. und 31. Dezember gibt es dann als Zugabe die Konzerte von 2018 und 2019 - dann ist man ebenfalls bei "Fidelio" live dabei, wenn Riccardo Muti wieder den Taktstock schwingt, um das Jahr 2021 einzubegleiten. Der Maestro tut das mittlerweile zum sechsten Mal. 1990 war er das erste Mal im erlauchten Kreis der Wiener Neujahrsbotschafter zugelassen.

Wir sind zuletzt von politisch korrekter Seite wiederholt daran erinnert worden, dass die Tradition der Walzer-Konzerte zum Jahreswechsel mitten im Zweiten Weltkrieg begann: Clemens Krauss war der erste, der nach entsprechenden Erfahrungen bei den Salzburger Festspielen die Werke der Strauß-Dynastie wieder zu philharmonischen Ehren brachte.

Man muss heutzutage angelegentlich daran erinnern, dass dieser Künstler in Yad Vashem in der Liste der "Gerechten unter den Völkern" erwähnt wird, ehe man zur musikalisch unabdingbaren Feststellung gelangen darf, dass seine Walzer-Aufnahmen gehört haben muss, wer sich Rechenschaft über den wahren Charakter eines wienerischen Dreivierteltakts geben möchte. Wer sich auf die Suche nach dem Livemitschnitt von Krauss' letztem Neujahrskonzert (1954) gemacht hat, kann auch den himmelweiten Unterschied zwischen einem erfreulichen Konzert-Ereignis und jenem Medien-Spektakel ermessen, wie es uns heute pünktlich um 11 Uhr jedes Neujahrstages geboten wird, bei dem sogar die sogenannten Zugaben im TV-Regiebuch stehen, während sie früher willig auch als echte "Encores" spontan während des Konzerts gewährt wurden.

Lockerungsübung für strenge Maestri

Dass die Dirigenten zu Neujahr jährlich wechseln, ist eine vergleichsweise junge Gepflogenheit - Lorin Maazel übernahm als designierter Staatsoperndirektor 1980 den Dirigentenstab (und später auch das eine oder andere Mal den Geigenbogen) vom langjährigen Neujahrs-Zelebranten Willi Boskovsky. Damit war die große Zeit eines philharmonischen Konzertmeisters zu Ende, und nach Maazels Abgang brach die Ära der Dirigier-Stars an.

Denkwürdige Vormittage unter Dirigenten wie Herbert von Karajan und Carlos Kleiber blieben im Gedächtnis. Was von der jüngeren Neujahrs-Vergangenheit erinnernswert bleiben könnte, lässt sich nun bis zum Stichtag Woche für Woche im Stream kontrollieren: Kommenden Sonntag erlebt man noch einmal den quirligen, ewig-jungen Franzosen Georges Pretre, danach so unterschiedliche Maestri wie Welser-Möst und Mariss Jansons (je zweimal), Daniel Barenboim, Zubin Mehta, Christian Thielemann oder Gustavo Dudamel - die Spannweite reicht also vom sprichwörtlichen "Musikdarsteller" bis zum gediegenen Kapellmeister; gut, um die eigene Erinnerung zu testen, bevor es ans Taxieren von Riccardo Mutis Leistung geht - der auch mit seinem bisher letzten Beitrag zur Sammlung (2018) in der Retrospektive zu erleben ist: "Locker wie zu Neujahr gibt sich Muti sonst kaum", konnten wir damals feststellen. Voila.