Thielemanns Wagnerfest

Das Wagner-Fest: Thielemann, die Dresdner und Johan Botha

Musikverein. Heute abend wiederholt sich, was das Publikum am Sonntag offenkundig als Sternstunde empfunden hat: ein aufschlussreiches und sensationell vielschichtig musiziertes Programm zum Jubiläum.

Eine Rundreise absolvieren die Staatskapelle Dresden und Christian Thielemann in Sachen Wagner. Das hat nicht nur Methode, weil Thielemann zweifellos der gesuchteste aller Wagner-Interpreten ist, sondern weil dieses Orchester einst vom Meister selbst geleitet wurde – und bei der Uraufführung des ,,fliegenden Holländers" im Graben saß.

Die unleugbare Kompetenzballung, die sich aus der Kombination Dresdner/Thielemann ergibt, sorgte im Musikverein denn auch für ein grandioses Geburtstagskonzert. Der Maestro steht ja geradezu als Ikone für die Fortsetzung der deutschen Spieltradition, die von dieser Musikergemeinschaft (eine Zeitlang unter Wagners Führung) entscheidend mitgeprägt wurde; und die sich auch über die Jahrhunderte hin in ihrem Musiziergeist erhalten zu haben scheint. Thielemann nimmt auf, was ihm eine lange Tradition hier bietet und führt die Staatskapelle sensibel zu neuen Höhen. Klug disponiert war diesmal das ganz auf den ,,Dresdner Wagner" zugeschnittene Programm, im ersten Teil der junge Komponist (bis zum ,,fliegenden Holländer"), im zweiten die beiden großen Dresdner Opern, ,,Tannhäuser" und ,,Lohengrin".

Aufhorchen ließ zunächst vor allem die Gestaltung der ,,Faust"- Ouverture, ein heikles Opus aus den späten Dreißigerjahren, an dessen zerklüfteten Strukturen die meisten Interpreten scheitern. Thielemann freilich bringt das Kunststück zuwege, die in allen Registern herrlich satt und dunkel tönenden Linien so prägnant und beredt wie möglich ausspielen zu lassen, aus der Konfrontation der vielen Details aber trotzdem einen dramaturgischen Bogen zu spannen.

Äußerste Brisanz, höchste Klangschönheit

Die Kunst der theatralischen Steigerung lässt die brisante Zuspitzung des Geschehens, das kühne Gegen- und Miteinander der antagonistischen Faust-Motive ungemein plastisch werden. Der Hörer erlebt eine unausweichlich der Katastrophe zustrebende Erzählung.
Den Atem hielt man an diesem Abend dann häufig an, im als ein einziger großer Instrumentalgesang modellierten ,,Lohengrin"- Vorspiel, in den vom Dirigenten immer wieder nervös vorangetriebenen, ekstatischen Figuren der Venusberg-Musik des ,,Tannhäuser"; und sogar während der Klangfarbenstudie ,,Fraternité" von Hans Werner Henze, die das ursprünglich avisierte Auftragswerk des im Vorjahr verstorbenen Komponisten ersetzte: Thielemann und die Dresdner mobilisieren auch für Zeitgenössisches edelste Klänge!

Dazu Johan Botha, ein Tenor von unvergleichlichem Potenzial für die höchst unterschiedlichen Aufgaben, die Wagner seinen Titelhelden stellt: beinah belkantesk im ,,Rienzi"-Gebet, von zartem Piano bis zu wahrhaft heldischer Strahlkraft changierend in der (kompletten!) Gralserzählung des ,,Lohengrin". Nach Tannhäusers ,,Romerzählung" gab es bereits Ovationen, weil die bohrende Intensität der Orchesterklänge und die suggestive Erzählkunst des Tenors zu äußerstem dramatischem Impetus verschmolzen. Die Zugabe – das Vorspiel zum dritten Aufzug des ,,Lohengrin" – ließ das Auditorium dann förmlich von den Sitzen springen. ,,Seit ich für die Bühne arbeite, habe ich kein Publikum so außer Rand und Band gesehen", heißt es in einem anderen Stück. Das könnte sich bei der Reprise heute abend durchaus wiederholen . . .