Thomas D. Schlee

Neue Musik, spannend wie ein guter Krimi

Das Gewandhausorchester Leipzig unter Riccardo Chailly beeindruckte mit einer Novität für Orgel und Orchester von Thomas D. Schlee.

Eine Erstaufführung – und das Publikum lauscht gebannt, das kommt nicht alle Tage vor. Mit ,,Ich rufe zu dir" ist Thomas Daniel Schlee gelungen, was der Untertitel verspricht, eine ,,symphonische Szene", dramatisch im Aufbau – und, für diesen Komponisten beinah selbstverständlich, spirituellen Inhalts. Ein Jeremias-Zitat diente diesmal als Inspirationsquelle.

Originell schon der Beginn: Organist Michael Schönheit ließ einen Ton im tiefsten Register erklingen, als Maestro Chailly erst das Podium betrat. Die Musik ist schon da, bevor sie anfängt – der Orgelklang jedenfalls, den die Aufwallungen des Symphonieorchesters in mehreren emphatischen Eruptione eigentlich erst heraufzubeschwören trachten, wie es scheint.
Die Instrumentalisten ,,rufen" wie zu einer höheren Instanz, nicht bemerkend, daß diese ohnehin als Fundament allen Seins waltet. Faszinierend gelang Schlee bereits der erste, heftig gestikulierende Abschnitt seiner Komposition, ein verzweifelter Aufschrei, der in sich zusammensinkt. Erst den resignierenden, kaum vernehmbaren Pianissimo-Akkorden der Solostreicher folgt die hymnische, doch von großer innerer Ruhe erfüllte ,,Antwort".Mit einem Mal verwandelt sich der bisher kaum wahrnehmbare ,,Generalbass" der Orgel in eine Klangsäule, an der sich die Orchesterstimmen nun, Sicherheit gewinnend, emporranken können. Was danach passiert, gehört zu den faszinierendsten Fantasiegebilden zumindest der österreichischen jüngeren Musikgeschichte: Orchester und Orgel treten zueinander in Beziehung, zunächst vorsichtig distanziert, dann mehr und mehr ineinander verwoben. Aus leisen, wie aus weiter Ferne ertönenden Echos lösen sich immer selbstbewusstere Einzelstimmen, die sich zu einem harmonischen Geflecht verdichten.

Dur und Moll, ganz neu definiert

Schlee findet dafür originelle Neukombinationen klassischer Dur- Moll-Harmonien – nicht nur im Gefolge seines Lehrers Messiaen, sondern durchaus auch bei Meistern wie Martinu anknüpfend und deren Funde originell übersteigernd. Daß die Leipziger Gäste ihre nach wie vor stupende Klangkultur für das Auftragswerk mobilisierten, trug zum beachtlichen Erfolg bei.

Im Übrigen hätte ich mir vom Gewandhausorchester mehr Beispiele seines angestammten Repertoires gewünscht als nur zehn Minuten Mendelssohn („Ruy Blas"). Doch man gab, warum nur, wie alle anderen Gastorchester Mahler V, Tschaikowsky VI. Doch davon demnächst ausführlicher.