Volksopern-Zukunft

Noch schummelt sich Frau Direktor durch Oper im Internet. Malmö streamt jede einzelne Aufführung seiner aktuellen "Falstaff"-Serie. Für Wiener Opernfreunde ist das von Belang, denn die Inszenierung stammt von Lotte de Beer, die ab 2022 die Geschicke der Volksoper leiten wird.

Auch das Kulturleben in aller Welt ist im Ausnahmezustand. Aber wie gehen die Veranstalter damit um? Streaming ist in aller Munde. Die Wiener Staatsoper überbrückt die Phase der Schließung durch die Ausstrahlung verfilmter Produktionen aus den vergangenen Spielzeiten. In Schweden gibt man Oper ganz einfach vor Kameras, als wäre ein Repertoirebetrieb im Internet die normalste Sache der Welt.

Malmö verkauft Tickets für eine Neuinszenierung von Verdis "Falstaff" - und spielt die Produktion jeden Abend, an dem sie angekündigt war, um sie zu streamen. Man ist live dabei, und wer die Vorstellung versäumt, kann nicht (wie etwa im Wiener Onlinebetrieb) einfach 24 Stunden lang darauf vertrauen, die Aufzeichnung "nachsehen" zu können. Der schwedische Weg heißt: ein Ticket für den nächsten Livestream zu erwerben (www.malmoopera.se).

Neugierige haben schon am vergangenen Wochenende den Blick in den hohen Opern-Norden gewagt. Immerhin stammt die "Falstaff"-Inszenierung von Lotte de Beer - und diese übernimmt als Nachfolgerin Robert Meyers bald die Leitung der Wiener Volksoper. Also will man wissen, was die Dame aus einer der feinsinnigsten musikalischen Komödien so macht.

Oper, "über die Bande" gespielt

Zwar, Lotte de Beer ist hierzulande kein unbeschriebenes Blatt, sie hat bei den Bregenzer Festspielen ebenso inszeniert wie im Theater an der Wien. Aber das war vor ihrer Kür zur Volksopern-Patronin. Da hat man vielleicht nicht so genau aufgepasst, denn es ging ja nur um einzelne Vorstellungen.

In Erinnerung geblieben ist: De Beer spielt Theater gern, wie Billardspieler das nennen, über die Bande. Da sind meist nicht nur die offiziell von Librettos Gnaden handelnden Personen, sondern noch allerlei zusätzliche Akteure oder Puppen im Spiel (wie im Bregenzer "Mose in Egitto", 2017), oder die Handlung wird auf verschiedenen Zeitebenen gespiegelt wie in der Wiener "Jungfrau von Orleans" im Vorjahr.

Den "Falstaff" lässt Lotte de Beer nun in der Gegenwart spielen; oder sagen wir besser: Sie lässt Sänger in Einheits-"Klamotten" des Jahres 2020 auftreten statt in Gewändern der Shakespeare-Zeit (oder der Ära König Heinrichs IV.). Tatsächlich tritt man auf und agiert. "Falstaff" spielt man hier nicht, nicht so, wie ihn Arrigo Boito klug aus mehreren Shakespeare-Stücken destilliert hat, und auch nicht irgendwie anders.

Die Bilder aus Malmö liefern anstelle eines Theaterstücks Fußnoten zur Frage, mit welchen technischen Mitteln man heute das altgewohnte Bühnenspiel verfremden und in neue Übermittlungsformen auflösen kann. Unentwegt huschen Helferlein über die Szene, um Sänger zu filmen oder ihnen bei neumodischen Schattenspielen beizustehen, die allerlei Dinge im Bild erscheinen lassen, ohne dass die Marionettenspieler sichtbar würden. So hilft man sich über Szenen, die schwer realisierbar sind: Sir John fällt nicht höchstselbst aus dem Fenster in den Fluss, sondern nur sein Wäschekorb in Miniaturgestalt aus dem Puppenhäuschen.

Und sogar anzügliche Momente werden für unsere Ära der neuen Prüderie ganz unverdächtig, wenn man sehen kann, dass Falstaff die listige Alice Ford nicht realiter unsittlich berührt, sondern meterweit von ihr entfernt ist, während die Filmregie zwei Bilder in eins zusammenfügt.

Ein Stück über Corona-Distanzregeln?

Das kann man, wenn man gut aufgelegt ist, auch als Kommentar zu den Corona-Distanzregeln sehen - eine Rubrik, unter die man vielleicht sogar die ganze Produktion reihen kann. Also fragen wir nicht weiter, ob Lotte de Beer Verdi inszenieren kann; vielleicht wird sie ja nach dem Ende der Krise Lust verspüren, das in Wien zu tun.

Musikalisch darf man immerhin die auch in Wien nicht mehr unbekannte Jacquelyn Wagner als Gewinn verbuchen, eine Alice mit schön geführtem, bis in die Höhe sicher platzierendem Sopran. Dann darf man sich freuen, dass das ehemalige Wiener Ensemblemitglied Orhan Yildiz es in Schweden bereits zum Mister Ford geschafft hat und neben dem sympathischen, aber etwas schwächlich tönenden Titelhelden von Misha Kiria glänzend besteht.

Schade, dass man kein besseres Liebespaar als Alexandra Flood und Sehoon Moon gefunden hat. Schöne Stimmen müssten stetiger, sauberer klingen, wollten sie als Entdeckungen gefeiert werden. Das Orchester unter Steven Sloane gibt Verdis fein verästeltem Geflecht immerhin jenes Brio, das einer echten Komödie angemessen wäre.