Wiener Ensemble-Kultur

Die härteste Prüfung für Wiens Opern-Ensemble

In den Galakonzerten, die Dominique Meyers Ära beenden, zeigen die jungen Sänger Flagge.

Es war Herbert von Karajan, der dem Wiener Ensembletheater einst den Todesstoß versetzte. Sein Ideal lautete: Eine perfekte Besetzung für jede Oper möglichst in allen großen Opernhäusern der Welt. Eine Utopie, die zumindest dafür gesorgt hat, dass es mittlerweile kaum noch ein bedeutendes Haus auf der Welt gibt, das noch über ein schlagkräftiges Sängerensemble verfügt.

Der letzte Operndirektor, der ehrlich daran geglaubt hat, noch einmal eine exzellente Truppe an sein Institut binden zu können, war Eberhard Waechter. Er konnte nicht mehr beweisen, dass er es geschafft hätte.

Mittlerweile suchen sämtliche Intendanten in einstigen Repertoirehäusern und bei Festspielen ihr Heil im sogenannten Regietheater. Mehr und mehr ist gleichgültig geworden, wer singt, Hauptsache, er passt optisch ins Konzept.

So hat man die Spielpläne allerorts reduziert und ist vielfach sogar bei kleinen und kleinsten Partien von Gästen abhängig geworden. Kaum ein Impresario wagt es noch, gegen diesen Zeitgeist anzuschwimmen. Umso bemerkenswerter, dass aufgrund der Coronakrise der scheidende Wiener Staatsoperndirektor gezwungen ist, zum Abschied nur noch Konzerte abzuhalten - und den Stargastspielen von Krassimira Stoyanova bis Juan Diego Florez einige Galaabende entgegenzusetzen, in denen die Ensemblemitglieder zum Zug kommen.

Ensemblemitglieder?

Ja, entgegen allen Unkenrufen gibt es die, und sie haben sich in der Ära Dominique Meyers zu einer Compagnie zusammengefunden, die so schlagkräftig ist wie seit Jahrzehnten nicht. Man konnte es über den wirklich zahllosen Auftritten von Welt-Stars zwar übersehen, aber die Wiener Oper war in den vergangenen Jahren imstande, selbst heikle Partien bei Premieren aus dem Haus zu besetzen. Nicht den Othello, gewiss, aber beispielsweise die Desdemona.

Weltklasse, hausgemacht. Im Repertoire demonstrierten Ensemblekünstler des Öfteren, dass sie illustren Gästen nicht nachstehen. Im Gegenteil: Die ersten beiden der bis Ende Juni stattfindenden Galaabende von Hausmitgliedern bewiesen das schlagend - und zwar im heikelsten Fach: Man sang Belcanto und Mozart. Was das Publikum - virusbedingt spärlich im Saal, international aber via Live-stream dabei - zu hören bekam, war vielfach Weltklasse.

Mit Olga Bezsmertna hatte die Staatsoper zuletzt eine echte Primadonna in ihren Reihen, die hie und da bei fast vollständig aus dem Haus besetzten Aufführungen der Da-Ponte-Opern die führende Rolle übernehmen konnte. Dergleichen galt früher in Wien als selbstverständlich, schien aber zuletzt völlig unmöglich.

Heute beginnt eine Mozart-Gala der Ensemblemitglieder, die sozusagen aufs Natürlichste durch Bezsmertnas "Felsenarie" gekrönt wird, mit einem Dreisprung der Sonderklasse: Svetlina Stoyanova sang mit satt timbrierter Mezzostimme souverän die "Parto"-Arie des Sextus aus "Titus", Jongmin Park, ein echter Basso cantante, brillierte mit einer virtuosen "Registerarie" des Leporello ("Don Giovanni"), und zwischendrin sang Jinxu Xiahou Don Ottavios "Il mio tesoro", wie man es bei Festspielen zuletzt kaum je hören konnte. Nicht von ungefähr hat Mozart diese Nummer für den ersten Wiener Ottavio ersetzen müssen: Die Balance zwischen nobler Stimmführung und Attacke, die es hier braucht, hat nicht jeder Tenor anzubieten.

Xiahou hat. Und er ist nicht der einzige Spitzentenor, den Dominique Meyer für Wien ins Fest-Engagement gewinnen konnte: Geradezu sensationell die Auftritte des jungen Josh Lovell, der eine makellos schöne, von zarten Pianophrasen getragene "Aura amorosa" ("Cosi fan tutte") sang - um drei Tage später in der "Belcanto-Gala" in der Cabaletta des Don Ramiro aus Rossinis "Cenerentola" ein Feuerwerk an Koloraturen abzubrennen, das er mit zwei bombensicheren hohen Ds und etlichen Cs garnierte - Spitzentönen, die ganz ohne Müh' und Plag' und satt timbriert tönen.

Abschiednehmen. Immerhin, Lovell bleibt Wien in der kommenden Spielzeit erhalten und wird nach Auftritten in Werken des 20. Jahrhunderts gegen Ende der Saison auch solistisch - und wohl mit entsprechendem Repertoire - zu erleben sein.

Von vielen anderen lieb gewordenen Stimmen müssen sich die Wiener allerdings verabschieden, sogar von Kalibern wie dem eleganten Figaro-Grafen Samuel Hasselhorn, von Margarita Gritskova, die mit dem Cenerentola-Final-Rondo vom höchsten bis zum tiefsten Register ihres mühelos in Sopranregionen reichenden Mezzos punktete.

Auch den Namen etlicher anderer Solisten sucht man im Sängerverzeichnis für 2020/21 vergeblich: Schön also, Rachel Frenkel noch einmal erleben zu können, oder Andrea Carroll, wie sie als quirlige Norina auch feine Zwischentöne hören ließ, sobald sie Sorin Colibans Don Pasquale die berüchtigte Ohrfeige verabreicht hatte.

Daniela Fally, die noch einmal ihre "Sonnambula" servierte, bleibt im Haus. Das ist gut so, denn sie nutzt gekonnt Bühnentemperament, um als Figur ganz zu überzeugen, auch wenn die Stimme einmal nicht alle hundert Prozent geben will.

Amüsant ausgespielt wurden die Ensembleszenen, Rafael Fingerlos kam als Papageno sogar mit Coronamaske aufs Podium, durfte aber partiturgerecht bald wieder "plaudern". Exzellent die beiden Korrepetitoren, die ihre Schäfchen bei Laune und in Schach hielten: Annemarie Herfurth und Stephen Hopkins.