Zeffirellis "Don Giovanni" aus Verona


Für Wiener Opernfreunde ist der Name Franco Zeffirellis (unter anderem auch) eng mit Mozarts „Don Giovanni“ verbunden. Die Staatsopern-Inszenierung des Altmeisters von Anfang der Siebzigerjahre kehrte einst sogar noch einmal in den Spielplan zurück, als man längst versucht hatte, sie durch eine Neudeutung zu ersetzen. Und in gewisser Weise wirkt dieser Mitschnitt einer Aufführung in der Arena di Verona von 2015 wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Denn wie einst in Wien bewegen sich die Figuren des großen, hintergründigen Spiels vom „bestraften Wüstling“, so der eigentliche Titel laut Da Pontes Textbuch, ganz natürlich und gemäß dem, wovon im Text gerade die Rede ist; oder auch dem, was die Musik gerade als Subtext hören lässt.
Dass „Don Giovanni“ auf der Buffo-Tradition von Meister Goldoni und Konsorten basiert, leugnen ja weder Librettist noch Komponist. Wenn ihr Opus auch entschieden tiefer in die Seelenwelten der handelnden Personen lotet, so schadet es nicht, wenn diese Basis auch in der optischen Umsetzung des Dramas „stimmt“.
Bei Zeffirelli stimmt sie. Die Sache läuft in üppigen barocken Dekors und entsprechend bunten Kostümen ab, weist vor allem in Sachen dramaturgischer Konsequenz keinerlei Fehlstellen auf. Dass manch abgründige Wahrheit hier hart am Rande der Kasperliade verhandelt wird, hat auch seine Richtigkeit. Die Sänger verführen ihr Publikum großteils zu beiden Aspekten theatralisch-sinnlicher Wahrnehmung.
In den meisten Fällen gelingt ihnen diese heikle Melange auch musikalisch, die Zerlina Natalia Romans vielleicht ausgenommen, die offenbar doch eher aufgrund ihrer entzückenden Ausstrahlung engagiert wurde als wegen vokaler Qualitäten. Ihr Augenaufschlag macht sie freilich zu einem hinreißenden Luder und verleiht damit der Figur starkes, wenn auch vielleicht ein wenig zu eindeutiges Profil. Vielschichtiger nimmt man die beiden männlichen Zentralgestalten wahr, Carlos Álvarez als elegant-zynischen Titelhelden und Alex Esposito als sein komödiantisches, mit souveränen Bass-Tönen begabtes Alter Ego Leporello.
Die „Donne“ sind vom Stimmgewicht her, wie heute üblich, verkehrt herum besetzt, aber beide beeindruckend, Maria José Siri als Elvira dank viel Espressivo (und noch mehr Vibrato), Irina Lungus Anna, weil sie auch über Noblesse und technisches Vermögen gebietet, die Arien kultiviert zu phrasieren. Saimir Pirgo ist der kraftvolle Ottavio, demgemäß mit der B-Dur-Arie besser bedient, wiewohl er auch in der für einen zarter besaiteten Wiener Tenor einst nachkomponierten „Dalla sua pace“ die Stimme feinsinnig zurückzunehmen sucht.
Natürlich applaudiert das Arena-Publikum in die Generalpause der brillanten „Register-Arie“ Leporellos kräftig hinein; an der sicheren Führung durch Stefano Montanari liegt's nicht. Er verleiht dem Geschehen vom Hammerklavier aus durchwegs das rechte Tempo. Zuletzt ertappt man sich dabei, einen Abend lang nicht ein einziges Mal über Regiefragen nachgedacht zu haben. Sie spielen hier einfach „Don Giovanni“. Ob so etwas in der Ära nach Zeffirelli noch einmal passieren wird, steht in den Sternen.