Zum To von Dmitrij Smirnov

Zwischentöne Über einen späten Zeugen des sowjetischen Kultur-Terrors

Der weißrussische Komponist und Übersetzer Dmitrij Smirnov wurde in seinem britischen Exil 72-jährig ein Opfer des Coronavirus.

Zu den Opfern der Ausbreitung des Coronavirus zählt der Komponist Dmitrij Smirnov. Er gilt in den spärlichen Eintragungen, die man über ihn findet, als "britischer" Künstler, stammte aber aus Weißrussland und war eines der späten Opfer des sowjetischen Kultur-Terrors, den man Menschen wie Smirnov zuliebe nie vergessen sollte.

Tatsächlich hatte die Unterdrückungsmaschinerie kommunistischer Prägung mit dem Tode Stalins Anfang der Fünfzigerjahre kein Ende genommen. Sie prägte das Geschehen im Reich unter dem roten Stern bis zu dessen Implosion 1989/90.

Dmitrij Smirnov war einer jener Künstler, die davon Zeugnis geben konnten. Geboren 1948 in Minsk, hatte er in Moskau studiert und Mitte der Siebzigerjahre in Maastricht den ersten Preis für sein "Solo für Harfe" gewonnen. Eine solche Auszeichnung im Westen machte den jungen Mann für sowjetische Gremien verdächtig.

Zumal sich Smirnov ganz bewusst nicht an den ästhetischen Vorgaben des "sozialistischen Realismus" orientierte, sondern sich recht früh schon - wie etwa der ebenfalls verpönte, eineinhalb Jahrzehnte ältere Alfred Schnittke - einer offenherzigen Polystilistik verschrieben hatte.

In Smirnovs Musik findet sich viel Meditatives, frei um tonale Zentren Kreisendes. Die junge Patricia Kopatchinskaja hat einst für eine Porträt-CD seine Violinsonate aufgenommen, deren Finale eine träumerische Paraphrase des (schon von Alban Berg in seinem Violinkonzert verwendeten) Bach-Chorals "Es ist genug" in höchste Geigenhöhen entschweben lässt.

Malerische Assoziationen wecken die meisten von Smirnovs Werken, die hierzulande kaum je zu hören waren. Eine Ausnahme markierte die Uraufführung eines Vokalwerks durch das Altenberg-Trio und den Bariton Wolfgang Holzmair.

Im Übrigen blieb diese Musik ein Fall für Connaisseure, die auch Smirnovs Liebe zum Schaffen des englischen Maler-Dichters William Blake zu würdigen wissen. Dessen um eine freigeistige Aneignung neutestamentarischen Gedankenguts oszillierendes Schaffen hat Smirnov über Jahrzehnte inspiriert.

Der Komponist fungierte auch als Übersetzer, übertrug die Dichtungen seines Idols ins Russische und verfasste eine ausführliche Blake-Biografie. Damals lebte er längst - wie sein großes Vorbild - in England.

Die russische Musikwelt hatte nichts von ihm wissen wollen. Auch dann nicht, als er nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums im Verein mit seiner Frau, der Komponistin Elena Firsova, einen Verband der bisher unterdrückten Avantgarde-Komponisten gründete. Am Gründonnerstag ist Smirnov in seiner englischen Wahlheimat gestorben.