Zum Tod von Mirella Freni

Sie sang. Und das genügte.

Am Sonntag starb die Sopranistin Mirella Freni kurz vor ihrem 85. Geburtstag in ihrer Heimatstadt Modena. Unter Karajans Fittichen war sie zum Weltstar geworden.

11. Februar 2020

La Boheme" ist gewiss das Erste, was Opernfreunde mit dem Namen Mirella Freni assoziieren. Die Sopranistin mit der Engelsstimme aus Modena war für Generationen der Inbegriff der Mimi, deren Schicksal sie erlebbar zu machen wusste wie keine Zweite. Mit der legendären Doppelpremiere der bis heute geliebten Zeffirelli-Inszenierung des Werks - Herbert von Karajan dirigierte an der Mailänder Scala und an der Wiener Staatsoper - war die Weltkarriere der jungen Künstlerin gestartet.

Kenner wussten schon zuvor, dass da eine außergewöhnlich schöne Stimme zu entdecken war. Kenner - und die Eltern der Künstlerin, für die klein Mirella ein Star war, als sie mit zehn hell und sauber Violettas Koloraturen aus Verdis "Traviata" trällerte.

In Modena wuchs zur selben Zeit ein weiterer jugendlicher Opernheld heran, der später (oft an der Seite der Freni und begleitet von Frenis erstem Mann, Leone Magiera) Weltkarriere machen sollte: Luciano Pavarotti. Manche munkelten, die beiden hätten dieselbe Amme gehabt . . .

Herbert von Karajan führte die beiden im Plattenstudio und bei den Salzburger Osterfestspielen als Rodolfo und Mimi zusammen. Die Produktion gilt bis heute als unübertrefflich. Wie manches, an dem die Freni beteiligt war, deren Stimme strömte wie reines, klares Quellwasser, in dem die Sonne faszinierende Farbspiele treiben konnte, je nachdem, welche Emotionen der dramatische Augenblick gerade forderte. Die Freni war in ihrem Bühnenleben keine Sängerin, die ihrer Stimme um des Ausdrucks willen mit viel Attacke oder expressivem Druck zugesetzt hätte. Sie sang. Und das genügte.

Solange sie sich im lyrischen Fach bewegte, gab es auch unter den Kritikern keine Diskussion. Widerspruch im Publikum regte sich nur einmal, als Karajan sie an der Scala als Violetta besetzte; da protestierten nicht nur die Callas-Aficionados. Auch mancher Connaisseur konstatierte Mängel im Ziergesang. Vor allem schienen die Grenzen der Entfaltungsmöglichkeiten dieses Soprans deutlich zu werden, Grenzen, die Freni lang nicht überschreiten wollte.

Für Karajan sang sie dann aber doch die Elisabeth von Valois (im "Don Carlos") und vor allem die Aida. Auch hier flossen Verdis Kantilenen in makelloser Schönheit. Im großen Monolog im letzten Bild der Karajan-Produktion des "Don Carlos" stand die Freni inmitten der leeren Bühne und tönte so bewegend, wie sie optisch unbeweglich blieb.

Wenig später bot der Maestro seinem Lieblingssopran die Nanetta für die Salzburger "Falstaff"-Produktion an. Die Mädchenrolle hatte die Freni für Georg Solti zwei Jahrzehnte zuvor an Nicolai Geddas Seite unvergleichlich gesungen. Nun sagte die Sängerin ihrem großen Förderer erstmals Nein. Sie hätte gern die reife Spielmacherin Alice Ford gesungen, nicht aber eine Partie, in der sie sich nicht mehr finden konnte.

An Karajans Seite hatte sie einst das Wiener Publikum überwältigt. Sie war im Haus am Ring während Karajans 13-jähriger Absenz kaum zu erleben, kehrte aber mit ihm 1977 zurück: wieder als Mimi, diesmal an der Seite von Jose Carreras. Pavarotti war später ihr Rodolfo, als Carlos Kleiber in einer kurzen Serie den "Boheme"-Taktstock schwang.

Auch in den dramatischeren Partien, die Freni für ihr treues Wiener Publikum sang, lag man ihr zu Füßen, mochte die Kritik auch das unvergleichliche Timbre gefährdet sehen, als Manon Lescaut, als Tatjana ("Eugen Onegin") oder Lisa ("Pique Dame"). Für Letztere entrümpelte man auf Aufforderung der Diva sogar das Bühnenbild!

Bleibende Ton- und Videodokumente

Mirella Freni, die mit ihrem Bassisten-Ehemann Nikolai Ghiaurov eine Zeit lang in Wien ein Domizil hatte, hat nicht allzu viele Vorstellungen an der Staatsoper gesungen. Doch der Eindruck, den sie hinterließ, bleibt für zwei Generationen von Opernfreunden unvergesslich.

Den Nachgeborenen bleiben einige Ton- und Videodokumente, allen voran die Verfilmung der "Boheme" durch Zeffirelli und Karajan, die "Figaro"-Susanna unter Karl Böhm in Jean-Pierre Ponnelles Regie. Und nicht zu vergessen, die Filmdokumentation von Karajans Salzburger "Carmen": In den Melodienbögen der sanften Micaela war dieser Sopran so gut aufgehoben wie vielleicht nirgendwo sonst. Ihre Arie im dritten Akt ist und bleibt für Musikfreunde ein tröstlicher Moment für die Ewigkeit.